Ann-Marie Orf im Interview zur veganen Kinderernährung
Ann-Marie Orf ist eine engagierte Veganerin und Mutter aus Berlin, die gemeinsam mit ihrem Ehemann Andrew Bryden meatthetruthforyourkids.combetreibt. Sie hat sich intensiv mit der Thematik der veganen Kinderernährung auseinandergesetzt und steht im Interview mit vegan.eu Rede und Antwort.
Die vegane Ernährung hat in den letzten Jahren ein hohes Ausmaß an Interesse und eine verstärkte gesellschaftliche Akzeptanz gefunden. Es kann sogar von einem veganen Trend gesprochen werden, auch wenn abzuwarten bleibt, inwiefern sich dieser tatsächlich in eine dauerhafte Zunahme des Anteils vegan lebender Personen an der Gesamtbevölkerung umsetzen wird.
Kontrovers bleibt aber das Thema der vegane Ernährung in Schwangerschaft, Stillzeit und im Kindesalter. Die Academy of Nutrition and Diatetics als weltweit größte Vereinigung akademischer Ernährungsexperten, die Dietitians of Canada, die American Academy of Pediatrics als weltweit größter Fachverband von Kinderärzten, die Canadian Paediatric Society sowie auch der National Health Service in Großbritannien halten eine gut geplante vegane Ernährung auch für Kleinkinder, Kinder und Jugendliche sowie während Schwangerschaft und Stillzeit für geeignet. Demgegenüber vertritt in Deutschland die als konservativ bekannte Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) nach wie vor eine kritische Haltung (siehe hier umfassende Darstellung und Quellenbelege).
Das, was Ann-Marie im Interview mit vegan.eu berichtet, gibt Anlass zum Optimismus und ermutigt Eltern, sich auf der Grundlage ausreichender Informationen für eine vegane Ernährung ihrer Kinder zu entscheiden und hiermit selbstbewusst in der Öffentlichkeit umzugehen.
Fragen von Vegan.eu an Ann-Marie Orf:
Wer bist du und welches Webprojekt betreibst du?
Mein Name ist Ann-Marie und ich betreibe mit meinem Mann Andrew (der den kompletten Text ins Englische übersetzt hat) die Website meatthetruthforyourkids.com. Mit diesem Projekt möchten wir Eltern dafür sensibilisieren, dass es in ihrem eigenen Interesse ist, ihre Kinder fleischfrei zu erziehen, und zwar unter den Aspekten Gesundheit, Erziehung, Umwelt- und Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit/Welthunger und Ethik/Moral. Die Website richtet sich in erster Linie also an Eltern, die (noch) nicht vegetarisch leben, sie ist aber auch ein Tool für vegetarische und vegane Eltern, die keine Lust haben, immer wieder das Gleiche zu sagen, wenn sie gefragt werden, warum sie ihre Kinder nicht dazu erziehen, manche Tiere als Freunde und andere als Lebensmittel(produzenten) zu betrachten, oder die ihren Standpunkt klar machen wollen, auch wenn die Frage nicht gestellt wird.
Wie bist du eigentlich selbst zur veganen Ernährung gekommen und was hat dich auf die Idee gebracht, dieses Projekt ins Leben zu rufen?
Ich bin zusammen mit meinem Mann vegan geworden und der Auslöser war unser Sohn Liam (der jetzt fast 2 Jahre alt ist). Das war vor etwas über einem Jahr, zuvor habe ich 20 Jahre vegetarisch gelebt. Wie es mir gelungen ist, die Realität so lange selektiv auszublenden bzw. warum ich den Schritt zum Veganismus nicht schon viel früher gemacht habe, verstehe ich heute selbst nicht mehr. Nach Liams Geburt war ein solches Scheuklappen-Verhalten jedenfalls keine Option mehr. Wir haben nicht von heute auf morgen umgestellt und der Veganismus war auch gar nicht unser erklärtes Ziel, sondern einfach die logische Folge unserer Beschäftigung damit, was unser Konsum für die Um- und Mitwelt eigentlich bedeutet.
Die Idee, einen Text zum Thema Elternschaft/Kindererziehung und Fleischkonsum zu schreiben, kam mir allerdings schon vorher, ein paar Monate nach der Geburt unseres Sohnes. Ich konnte und kann nicht verstehen, wie man es mit seinem Verantwortungsgefühl als Vater oder Mutter vereinbaren kann, einem Kind tote Tiere vorzusetzen, und als ich mich in der Zeit der Beikosteinführung plötzlich von Müttern umringt sah, die genau das taten und (in den meisten Fällen) auch gar nicht infrage stellten, hatte ich das Gefühl, irgendwie aktiv werden zu müssen. Um in Gesprächen auf eine gute Quelle verweisen zu können, habe ich damals online nach einem Text gesucht, der alle wesentlichen Fakten gegen den Fleischkonsum kurz und knapp erläutert und speziell auf Eltern zugeschnitten ist. Und als ich dann nichts gefunden habe, was meinen Vorstellungen entsprach, habe ich mich entschlossen, selbst etwas zu verfassen. Andrew (der wie ich Übersetzer ist) fand die Idee toll und hat gleich angeboten, alles ins Englische zu übertragen.
Zu Beginn des Projekts waren wir noch nicht vegan und die Arbeit an dem Text hat natürlich auch zu unserer Veganisierung beigetragen. Trotzdem haben wir entschieden, den Schwerpunkt Fleischkonsum bzw. fleischfreie Erziehung beizubehalten und nicht explizit in Richtung vegane Erziehung zu verschieben, einfach weil wir es für sinnvoll halten, einen niedrigschwelligen Denkanstoß zu bieten. Wir wollten aber klarmachen, dass für uns der Schritt zum Veganismus das logische Ende dieses ganzen Gedankenprozesses war, der durch unseren Sohn ausgelöst wurde, und haben daher zuletzt noch den Abschnitt „Wer, warum und wozu?“ hinzugefügt, in dem wir unseren persönlichen Weg ins vegane Leben beschreiben.
Das Logo für die Website und die Lesezeichen zu unserem Projekt wurden von Patrycja Czachowska konzipiert, die unser Stammcafé, das vegetarisch-vegane Atti’s Espresso Café im Prenzlauer Berg, führt. Außerdem hat mir Andreas Grabolle, Autor von „Kein Fleisch macht glücklich“, ein paarmal Feedback zur Website sowie Tipps dazu gegeben, wie ich sie bekannter machen kann. Wie aus dem Zitat, das ich für die Einführung verwendet habe, hervorgeht, ist auch er u. a. durch sein Kind dazu motiviert worden, sich eingehend mit der ganzen Thematik zu beschäftigen – und hat dieselben Konsequenzen gezogen wie wir.
Wie sind deine bisherigen Erfahrungen mit dem Projekt?
Die Website ist seit Februar online, seitdem wurde sie von fast 2.500 Leuten besucht und das Feedback war bisher durchweg positiv. Der für mich schönste Erfolg ist, dass die Website einer sehr guten Freundin, die drei Kinder hat, den letzten Anstoß gegeben hat, auf eine vegetarische Ernährung umzustellen. Wir kennen uns schon lange und ich habe damit überhaupt nicht mehr gerechnet. Mal abgesehen davon, dass mich das persönlich wahnsinnig freut, hat es mich darin bestätigt, dass es eine gute Idee war, einen Text zu verfassen, der sich direkt an Eltern richtet, also all die Argumente für eine fleischfreie Ernährung speziell für diese Zielgruppe aufzubereiten.
Ich glaube, dass viele Menschen anfangen, sich stärker selbst zu hinterfragen, wenn sie Eltern werden. Man hat plötzlich diese Verantwortung und will der natürlich gerecht werden und man fragt sich, ob man überhaupt als authentisches Vorbild taugt, inwieweit man seine Werte und Überzeugungen also tatsächlich lebt. Und wenn man dann feststellt, dass es da eine Kluft gibt zwischen dem, was man für richtig hält, und dem, was man tut und verantwortet, ist es in dieser sensiblen Lebensphase wahrscheinlicher, dass man wirklich etwas an seinem Verhalten ändert. Das war unsere Überlegung – und vor allem unsere eigene Erfahrung – und die Rückmeldungen, die wir bisher erhalten haben, zeigen uns, dass es vielen anderen genauso geht bzw. gegangen ist.
Vegane Kinderernährung wird bisweilen als Körperverletzung bezeichnet. Wie kommt es dazu und was ist deine Position?
Wie es dazu kommt, kann ich wirklich nicht sagen. Unwissenheit? Ignoranz? Das Gefühl, nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ vorgehen zu müssen, weil einen alleine schon die Anwesenheit einer vegan lebenden Familie in einen Verteidigungsmodus versetzt? Wer so etwas loslässt, stellt sich jedenfalls selbst ein Armutszeugnis aus. Ich weiß gar nicht, wie ich da reagieren würde … Wahrscheinlich würde ich erst mal lachen, einfach, weil ich so überrascht wäre, dass sich jemand zu so einer Aussage hinreißen lässt.
Theoretisch gibt es ja so einige Reaktionsmöglichkeiten: Man könnte z.B. darauf hinweisen, dass in den Medien bei dem Thema oftmals makrobiotisch ernährte Kinder mit Mangelerscheinungen als vegan ernährte Kinder bezeichnet werden, Makrobiotik jedoch sehr wenig mit Veganismus zu tun hat. Man könnte darauf aufmerksam machen, dass eine Mangelernährung bei jeder Ernährungsform möglich, bei Veganern aber schon alleine deshalb weniger wahrscheinlich ist, weil diese Gruppe im Allgemeinen ein überdurchschnittliches Ernährungsbewusstsein und -wissen aufweist. Man könnte auch einfach mal testen, wie es so mit dem Gesundheits- und Ernährungswissen des Gesprächspartners aussieht, damit würde man wohl die meisten ganz schnell zum Schweigen bringen. Aber ganz ehrlich: Ich persönlich würde keine Zeit und Energie in ein solches Gespräch investieren, sondern einfach auf unsere Website verweisen und mich dann wieder sinnvolleren Dingen widmen. Wer die vegane Ernährung von Kindern pauschal als Körperverletzung bezeichnet, der will einfach nur provozieren und disqualifiziert sich damit selbst als ernst zu nehmenden Gesprächspartner.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) lehnt eine vegane Kinderernährung strikt ab. Kannst du einschätzen, welchen Einfluss die DGE-Position auf die öffentliche Meinung hat?
Dass die DGE die vegane Kinderernährung strikt ablehnt, kann man ja eigentlich nicht mehr sagen. Inzwischen wird auch von der DGE eingeräumt, dass es natürlich möglich ist, Kinder gesund vegan zu ernähren, und nur „vorsichtshalber“ davon abgeraten – mit der Begründung, dass es Aufgabe der DGE sei, „allgemeine Empfehlungen für die breite Masse“ zu formulieren, bei einer veganen Ernährung aber eine „individuelle Empfehlung“ notwendig sei. Warum es nicht möglich sein soll, allgemeine Empfehlungen in Bezug auf eine vegane Ernährung abzugeben, bleibt allerdings schleierhaft.
Ich denke schon, dass es vegane Eltern in Deutschland wegen der Haltung der DGE in gewisser Hinsicht schwerer haben, z.B. was das Essensangebot in Kitas und Schulen angeht. Wenn ein Caterer veganes Essen unter Berufung auf die DGE verweigert, dann wird es problematisch, denn es besteht kein Rechtsanspruch. So etwas sollte man nicht einfach hinnehmen, sonst wird sich nie etwas ändern. Wer negative Erfahrungen in dieser Hinsicht gemacht hat, der kann sich z.B. über vegane-schule.de vernetzen, das ist schon alleine deshalb wichtig, weil die öffentliche Meinung zu dem ganzen Thema auch durch solche Initiativen geprägt wird.
Viele Medien berichten zunehmend differenziert über die gesundheitlichen Aspekte des Veganismus und stellen der Meinung der DGE die Haltung der US-amerikanischen Academy of Nutrition and Dietetics (AND, ehemals ADA) und anderer großer Ernährungsorganisationen gegenüber, die zu einem ganz anderen Schluss kommen. Auch das hat das gesellschaftliche Bewusstsein für das Thema in den letzten Jahren geprägt. Als ich Vegetarierin geworden bin, war die landläufige Meinung, dass man ein Ernährungsexperte sein oder jeden Tag irgendwelche komplizierten Nährstoffberechnungen anstellen (also z.B. Proteine umständlich kombinieren) muss, um ohne Fleisch und Fisch einigermaßen gesund zu bleiben; die DGE hat damals generell von einer vegetarischen Ernährung abgeraten. Erschreckend, dabei ist das gar nicht so wahnsinnig lange her. Inzwischen liegen genügend Studien vor, die belegen, dass Vegetarier gesünder und länger leben als Omnivoren, und die DGE kann gar nicht anders, als eine ovo-lakto-vegetarische Ernährung auch für Kinder als Dauerkost zu empfehlen – ihr Auftrag ist nämlich die Ernährungsaufklärung im Dienste der Gesundheit der Bevölkerung und nicht (wie man vielleicht glauben könnte) Lobbyarbeit für die Lebensmittel- und die Agrarindustrie. Wenn ich mir die Entwicklung so anschaue, bin ich zuversichtlich, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich die DGE auch in Bezug auf eine vegane Kinderernährung der Bewertung anderer großer nationaler Ernährungsorganisationen anschließt, ich denke aber auch, dass man ihren Einfluss nicht überschätzen sollte. Wer sich differenziert mit der veganen Ernährung beschäftigt, kann die Aussagen der DGE einordnen und lässt sich davon nicht abschrecken, davon bin ich überzeugt.
Sohn von Ann-Marie und Andrew
Hast du dich als vegane Mutter schon einmal diskriminiert gefühlt?
Ich persönlich habe mich als vegane Mutter noch nie diskriminiert gefühlt und bin auch noch nie dafür kritisiert worden, dass ich mein Kind vegan ernähre. Wenn überhaupt darauf reagiert wird, dass wir vegan leben, dann zumeist mit Neugier und Interesse. Ich denke, dass liegt zu einem großen Teil einfach daran, dass wir in einer Großstadt leben und hauptsächlich mit informierten, fortschrittlich denkenden Menschen zu tun haben. Wir sind vor etwa einem Jahr aus England nach Berlin gezogen und genießen die tolle vegetarisch-vegane Infrastruktur hier. Liam geht in eine rein vegetarische Kita und auch sonst haben wir uns ein Umfeld ausgewählt bzw. geschaffen, in dem die die vegetarische/vegane Lebensweise eher die Regel als die Ausnahme ist; inzwischen lebt außerdem auch ein großer Teil unserer Familien vegetarisch (und zunehmend vegan).
Was ich aber sehr gut kenne, ist diese (zumeist unterschwellige) Defensivhaltung, die manche Leute reflexartig einnehmen, sobald sie erfahren, dass ihr Gegenüber vegan lebt. In einigen Fällen könnte man das durchaus als diskriminierend empfinden, klar, ich habe es mir aber längst abgewöhnt, da übersensibel zu reagieren. Da kommt es mir wohl zugute, dass ich durch eine harte Schule gegangen bin, denn als ich mit 16 Jahren auf dem flachen Land (in Franken) Vegetarierin geworden bin, war das alles noch ganz anders: Die ersten Jahre dachte ich tatsächlich, es gäbe gar keine anderen Menschen, die keine Tiere essen. Meine Mutter hat mir erst vor Kurzem erzählt, dass auch sie vor mir überhaupt keine Vegetarier kannte, das war mir so vorher gar nicht bewusst. (Heute leben von ihren drei Töchtern übrigens zwei vegan und eine vegetarisch.) Dauernd wollte irgendjemand mit mir diskutieren, ich habe dieselben dummen „Argumente“ gefühlte 10.000 Mal gehört und hätte laut „Ja!!!“ geschrien, wenn man mich gefragt hätte, ob ich mich als Vegetarierin diskriminiert fühle (das hat aber damals niemanden interessiert). Es war sehr schwer, sich zu vernetzen, da Social Media und Online-Communitys zu der Zeit kein Thema waren – ich bin das erste Mal mit 19 Jahren online gegangen! Das Stadt-Land-Gefälle besteht nach wie vor (ist aber nicht mehr so ausgeprägt), vor allem aber hat sich in den letzten 20 Jahren das gesellschaftliche Bewusstsein glücklicherweise stark verändert. Heute macht sich in aufgeklärten Kreisen doch jeder, der sich als Tierfreund, Tier- oder Umweltschützer bezeichnet, aber nicht zumindest vegetarisch lebt, zum Gespött. Fleischkonsum bzw. allgemein der Konsum von Produkten, die auf
Ausbeutung und Gewalt basieren, ist nicht nur, sondern in erster Linie eine moralische Frage und heute wird das Thema, u.a. auch in den Medien, zunehmend unter diesem Aspekt diskutiert. Überhaupt wird dem Thema in den Medien immer mehr Platz eingeräumt, keiner kommt mehr an den Bildern von der Massentierhaltung vorbei, keiner kann mehr sagen „Ich habe das alles nicht gewusst“. Und wer sich einredet, dass z.B. Bio-Fleisch eine Alternative ist, der ignoriert die Realität der Bio-Tierhaltung und den eigentlichen Kernpunkt: Es geht darum, ob man sein eigenes Geschmacksempfinden (das ja zu einem sehr großen Teil „antrainiert“, also von Gewohnheiten geprägt ist) höher bewertet als das Leben eines anderen Lebewesens bzw. ob man auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt leben möchte. Der Punkt ist ja, dass sich hier keiner raushalten kann, denn wir alle müssen essen, also leisten wir jeden Tag entweder einen negativen oder einen positiven Beitrag zu dieser Welt. Und den meisten Menschen ist das heute sehr wohl bewusst, denke ich.
Wie sollten sich Eltern, die durch ihr soziales Umfeld wegen der veganen Ernährung ihrer Kinder kritisiert werden, deiner Meinung nach verhalten?
Da mir das selbst glücklicherweise fremd ist (und hoffentlich auch bleibt), bin ich sicher nicht die beste Ratgeberin. Meiner Erfahrung nach zahlt es sich aber auf jeden Fall aus, wenn man selbstbewusst auftritt, sich ein gutes Ernährungswissen aneignet und sich vernetzt.
Es hilft, sich stets vor Augen zu führen, dass es letztlich keine stichhaltigen Argumente gegen den Veganismus gibt und die Kritik, der man unter Umständen begegnet, in den allermeisten Fällen auf Unwissen oder darauf zurückzuführen ist, dass man als vegan lebender Mensch als personifiziertes schlechtes Gewissen wahrgenommen wird – was ich persönlich durchaus positiv bewerte, denn es regt zum Nach- und im besten Fall auch zum Umdenken an. Für mich ist die vegane Lebensweise vor allem ein ethisches Statement und ich möchte auch, dass das so wahrgenommen wird: Ich halte es für zutiefst unmoralisch, Tiere für menschliche Zwecke zu quälen, auszubeuten und zu töten, aus diesem Grund bin ich zuerst Vegetarierin geworden und dann – wenn auch leider erst viele Jahre später – auf vegan umgestiegen (wobei bei der Umstellung auf vegan auch all die anderen Aspekte, die wir auf unserer Website thematisieren, eine große Rolle gespielt haben). Und natürlich lehne ich es ab, wenn andere Menschen ein Verhalten an den Tag legen, das dazu führt, dass Tiere gequält, ausgebeutet und getötet werden, alles andere wäre ja unlogisch. Genauso klar spreche ich mich auch gegen andere Verhaltensweisen aus, die sich negativ auf andere Lebewesen auswirken, wie z. B. Homophobie oder Rassismus. Einzig und allein die gesellschaftliche Wahrnehmung macht hier einen Unterschied: Homophobie und Rassismus sind heutzutage glücklicherweise gesellschaftlich weitestgehend geächtet, während der Konsum von Tierprodukten von großen Teilen der Gesellschaft immer noch als normal angesehen wird. Der Karnismus macht es halt möglich, ganz selbstverständlich etwas zu tun, was eigentlich im krassen Widerspruch zu den eigenen Werten steht und zudem komplett irrational ist – denn einen Hund zu streicheln, während man sich ein Stück Schwein einverleibt oder sich als Fleischesser darüber aufzuregen, dass Pferde zu Lasagne verarbeitet werden, hat ja nun mal nichts mit rationalem Verhalten oder Logik zu tun. Wir brauchen auch in dieser Hinsicht einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel und auf dem Weg zu diesem Ziel zählt jede Stimme. Daher finde ich es wichtig, den eigenen Standpunkt stets klar und selbstbewusst zu vertreten. Es wird immer Leute geben, die einem dann vorwerfen, missionieren zu wollen, dogmatisch oder intolerant zu sein, sich als der bessere Mensch zu fühlen etc. pp. – es ist ja wirklich immer dasselbe, was dann kommt. Meiner Meinung nach sollte man sich von so was nicht mundtot machen lassen, das sind doch letztlich alles nur Ablenkmanöver. Mal ganz abgesehen davon, dass viele den moralischen Zeigefinger ja schon erhoben sehen, wenn man sich nur als Vegetarier oder Veganer zu erkennen gibt.
Absolut unerlässlich ist es meiner Meinung nach, sich eine gewisse Ernährungskompetenz anzueignen. Ich habe z.B. eine Ernährungsberaterin zu uns nach Hause eingeladen, bevor ich angefangen habe, auch für Liam ausschließlich vegan zu kochen. Ich hatte mir zu diesem Zeitpunkt schon viel angelesen, wollte mir aber noch mal von einer Expertin bestätigen lassen, dass ich gut informiert bin; außerdem hatte ich noch ein paar konkrete Fragen, die ich in einem persönlichen Gespräch klären wollte. Mir hat das am Anfang viel Sicherheit gegeben, ich würde das also auf jeden Fall empfehlen. Als vegan lebender Mensch und vor allem als jemand, der ein Kind vegan ernährt, muss man sich einfach auf Situationen einstellen, in denen das eigene Ernährungswissen auf den Prüfstand gestellt wird, u.a. natürlich bei Arztbesuchen. Es lohnt sich, darauf gut vorbereitet zu sein, nicht zuletzt erweist man dem Veganismus damit einen guten Dienst, denn jede Familie und überhaupt jeder Mensch, die/der glücklich und gesund vegan lebt, hat Signalwirkung und macht es anderen leichter, die umsteigen möchten – einfach, weil man zeigt, dass es geht. Und zwar sehr gut.
Gerade wenn man sich aufgrund seiner Erziehungsweise mit Kritik konfrontiert sieht, kann es auch helfen, sich mit gleichgesinnten Familien, die vielleicht ähnliche Erfahrungen gemacht haben, zu vernetzen bzw. auszutauschen. Auf keinen Fall zurückziehen und einigeln, es gibt immer jemanden, der einem weiterhelfen kann.
Außerdem finde ich es wichtig, auf sich selbst zu achten und die eigene Zeit und Energie sinnvoll einzusetzen. Wenn ich so zurückdenke, habe ich lange den Fehler gemacht, mich auf jedes Gespräch einzulassen, da habe ich viele Nerven und viel Lebenszeit verschwendet. Heute als Mutter überlege ich mir zweimal, wofür ich Zeit und Energie aufbringen möchte, einfach weil ich beides lieber in meine Familie stecke. Es kann ermüdend sein, Dinge, die man für selbstverständlich hält, immer wieder zu erklären, außerdem ist es auch nicht jedes Gespräch wert, geführt zu werden. Ich verweise jetzt immer gleich auf unsere Website und wer nach der Lektüre das persönliche Gespräch sucht, der hat im Allgemeinen ehrliches Interesse und in den investiere ich dann auch gerne Zeit und Energie.
An wen können sich in Deutschland Eltern wenden, die ihre Kinder vegan ernähren möchten? Leistet eigentlich der VEBU Hilfestellung? Wenden sich auch Eltern an dich?
Es gibt Facebook-Gruppen für vegane Eltern, Foren (wie z.B. das Tofufamily-Forum) und Buddy-Initiativen (z.B. vom VEBU und von ARIWA), wo man sich Rat und Unterstützung holen und andere Leute kennenlernen kann, die sich in einer ähnlichen Lebenssituation befinden. Gruppen und Foren eignen sich auch für alle, die einfach passiv mitlesen wollen; wer bei der Umstellung gerne persönlich begleitet werden möchte, ist mit einem Buddy gut bedient. Diese Buddy-Geschichte ist eine tolle Sache, finde ich, und wenn ich mal wieder etwas mehr Zeit habe, werde ich mich da auch selbst einbringen, also als Buddy zur Verfügung stellen.
Der VEBU leistet u.a. mit allgemeinen Informationen Hilfestellung und ich finde es wichtig, seine Arbeit und vegane Ausrichtung zu unterstützen, daher sind wir auch als Familie Mitglied. Und nachdem der Erfahrungsbericht, den ich für den VEBU geschrieben und in dem ich auch unsere Website vorgestellt habe, im VEBU-Newsletter und auf der Facebook-Seite vom VEBU verlinkt wurde, haben sich auch einige (werdende) Eltern mit Fragen direkt an uns gewandt. Ich antworte immer so gut ich kann und versuche, Kontakte zu vermitteln, wenn ich das Gefühl habe, dass ich selbst nicht umfassend weiterhelfen kann, weil mir z.B. einfach die Erfahrung fehlt (beispielsweise in Bezug auf eine vegane Schwangerschaft oder auch Diskriminierung).
Ein Argument gegen die vegane Ernährung von Kindern ist, dass man Kindern damit eine Entscheidung aufzwinge, die nur Erwachsene treffen könnten. Was sagst du dazu?
Ich frage mich, wie jemand, der dieses „Argument“ ins Feld führt, den Begriff Erziehung überhaupt definiert. Aber zu dem Thema haben u.a. Sohra von Tofufamily und der Graslutscher schon alles gesagt, daher spare ich mir hier jetzt weitere Ausführungen und verweise einfach mal auf ihre Artikel „Vegane und vegetarische Kinder: Sollten sie nicht selbst entscheiden?“ (oder auch „Why didn’t you tell us that's where meat came from?“) bzw. „Zwängt Euren Kindern nicht Eure Moral auf! Das tun wir schon!“. Besser als die beiden kann man es eigentlich nicht sagen.
Warum sollten wir überhaupt darüber nachdenken, Kinder vegan zu ernähren? Wäre es nicht einfacher, dieses heiße Eisen zu vermeiden?
Klar, es ist immer einfacher, mit der Mehrheit „mitzulaufen“, gar keine Frage. Und es ist auch klar, dass ganze Industrien davon abhängen, dass die Mehrheit eine Ernährung mit Tierprodukten weiterhin als den Normalfall ansieht und die vegane Ernährung als ein heißes Eisen wahrgenommen wird, von dem man besser die Finger lässt. Aber je mehr Menschen/Familien vegan leben, desto stärker kühlt dieses heiße Eisen ab, und dazu trägt wesentlich bei, dass inzwischen genügend gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zur veganen Ernährung vorliegen und es vielfältige Möglichkeiten gibt, sich zu informieren. Wer für das Leben und die Gesundheit eines anderen Menschen verantwortlich ist, der steht in dieser Hinsicht sowieso in der Pflicht, und wenn man erst mal weiß, welche (gerade auch langfristigen) Vorteile damit verbunden sind, ein Kind von klein auf gesund zu ernähren, dann sollte man dieses Wissen im Sinne seines Kindes auch umsetzen.
Mal ganz abgesehen davon gibt es auch einfach keine Alternative zum Veganismus, zumindest nicht, wenn man bestimmte Maßstäbe anlegt. Genau deshalb sind wir ja letztlich vegan geworden. Wir haben als Eltern bestimmte Vorstellungen davon, wie wir von unserem Sohn wahrgenommen werden wollen (nämlich als Teil der Lösung, nicht des Problems) und zu was für einem Menschen wir ihn erziehen möchten (nämlich zu einem Teil der Lösung, nicht des Problems), und denen könnten wir gar nicht gerecht werden, wenn wir ihm nicht u.a. vegane Vorbilder wären.
Können Leser von Vegan.eu irgendetwas tun, um das Projekt zu unterstützen?
Auf jeden Fall! Je mehr Menschen/Eltern das Projekt kennen, desto besser, also teilt die Website auf Facebook oder macht auf eine andere Art auf sie aufmerksam. Es gibt auch Lesezeichen zum Verteilen/Auslegen, die unter hello@meatthetruthforyourkids.com kostenlos bestellt werden können. Auch Verbesserungsvorschläge sind uns sehr willkommen. Wir freuen uns über jede Rückmeldung!