Interview mit Ann-Marie Orf zu ihrer Initiative “Mehr Pflanzenkraft für Schulen!”

Interview mit Ann-Marie Orf zu ihrer Initiative “Mehr Pflanzenkraft für Schulen!”

Im Interview berichtet Ann-Marie Orf über ihre Initiative "Mehr Pflanzenkraft für Schulen!"

Ann-Marie Orf ist Mutter eines schulpflichtigen Sohnes und weiß aus eigener Erfahrung, dass eine vegane Verpflegung an den Schulen keineswegs selbstverständlich ist. Sie hat daher zusammen mit ihrer Mitstreiterin Kaly Bihari die Initiative Mehr Pflanzenkraft für Schulen! ins Leben gerufen. Mit ihrer Initiative setzt sie sich für eine Veränderung der Qualitätsstandards für die Verpflegung in Schulen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) ein. Ihr Ziel ist, dass eine durchgängig vegane Verpflegung in den Schulen möglich wird.

Hintergrund

Für vegane Familien sind wichtige Entwicklungsstationen und Orte, wie Kindergarten und Schulen, mit erheblichen Herausforderungen und Problemen verbunden. Oft müssen sie um eine vegane Verpflegung ihrer Kinder kämpfen oder die Kinder werden de facto von der Gemeinschaftsverpflegung ausgeschlossen.

Auch in einer Umfrage von vegan.eu berichteten zahlreiche vegane Eltern über Erschwernisse und Diskriminierung, die die Möglichkeiten eines entspannten Familienlebens für Veganer:innen vermindern. Dabei wirkt sich die vegane Ernährung nach wissenschaftlichen Studien positiv auf Klima und Umwelt sowie bei angemessener Umsetzung auch auf die Gesundheit aus.

Derzeit deutet sich an, dass die Deutsche Gesellschaft für Ernährung ihre Empfehlungen veganfreundlicher gestalten könnte. Dies wäre ein großer Durchbruch für vegane Familien, da die aktuellen Empfehlungen der DGE oft eine vegane Verpflegung in Kindergärten und Schulen verhindern.

Im Interview schildert Ann-Marie Orf, wie und aus welchen Gründen sie sich für eine vegane Gemeinschaftsverpflegung in Schulen einsetzt.

Bitte erzähle uns etwas von Deiner Initiative zu einer pflanzenbasierten Ernährung in Schulen.

Bei dieser Initiative, die ich zusammen mit Kaly Bihari auf den Weg gebracht habe, geht es darum, die allgemeine Schulessenssituation und die Essenssituation vegan lebender Schulkinder zu verbessern und es damit allen Schüler*innen und auch dem pädagogischen Personal zu ermöglichen, in der Schule klima- und tierfreundlich zu essen.

Wie kam es zu Deiner Initiative, gibt es da auch eine persönliche Geschichte?

An der Schule meines Sohnes Liam gab es bislang zwei Caterer und wir hatten bisher mehr Glück als viele andere vegane Familien, würde ich sagen. In einem Fall hat es einiger Verhandlungen bedurft, bevor vegan geliefert wurde, dafür hat sich die Ansprechpartnerin dort dem Thema dann letztlich aber wirklich geöffnet und wir konnten gut kommunizieren. Im anderen Fall konnte veganes Essen problemlos als „Sonderessen“ bestellt werden. Das Essen war und ist aber nicht toll, sodass ich ganz klar das Gefühl habe, das oft langweilige und nicht besonders vollwertige Schulessen durch unser Familienessen ausgleichen zu müssen. Ist für mich auch kein Problem, ausgewogen und lecker zu kochen, aber ich frage mich natürlich, warum es für ein Catering-Unternehmen ein Problem ist, das zu leisten. Es darf nicht sein, dass wir uns als Eltern nicht darauf verlassen können, dass unsere Kinder in der Schule so essen können, dass es gut für sie selbst ist und ihnen schmeckt, den Planeten nicht zerstört und nicht auf Gewalt gegen Tiere basiert. Hier muss sich ganz dringend was ändern.

Die Gründe, die Kaly und mich bewogen haben, in diesem Bereich aktiv zu werden, sind letztlich folgende: Zum einen wissen wir, dass die Schulverpflegung für viele vegane Familien ein großes Problem darstellt, und es ist uns einfach ein Anliegen, dazu beizutragen, dass das Leben für vegane Menschen und besonders vegane Familien einfacher wird. Vor allem aber sind wir uns sehr bewusst, dass viele Menschen einfach deshalb nicht vegan werden, weil sie es aus verschiedenen Gründen für schwierig halten. Klar, das ist traurig, weil die Argumente pro vegane Ernährung ja einfach überwältigend sind. Aber es ist eben so: Je besser verfügbar vegane Produkte sind und je einfacher es ist, vegan zu essen, ohne sich dadurch in eine Sonderrolle bzw. Außenseiterposition zu begeben, desto mehr Menschen tun das auch. Wir müssen dahin kommen, dass es einfach ist, das Richtige zu tun, und dazu wollen wir mit unserer Initiative im Bereich der Schulverpflegung einen Beitrag leisten.

Das Interesse an einer veganen Lebensweise steigt immer weiter, auch bei Eltern, die ja nun mal eine besondere Vorbildfunktion und Zukunfts- und damit Klimaverantwortung haben. Aber auch bei Kindern ist das so, die heute ja mit der Klimakrise aufwachsen und inzwischen glücklicherweise immer öfter an der einen oder anderen Stelle auch mit dem Thema Tierethik in Berührung kommen. Die meisten Kinder wollen Tieren nicht wehtun und heutzutage sehen sie ja auch bei jedem Einkauf, dass es Unmengen an Alternativen zu Tierprodukten gibt.

In einer Umfrage von uns unter mehr als 900 Eltern von veganen Kindern berichteten diese über weit verbreitete Ablehnung und Diskriminierung. Ist dies auch Deine Erfahrung?

Nein, absolut nicht. Wir kommunizieren sehr selbstbewusst, dass wir vegan leben, und ich würde sagen, dass in unserem Umfeld die meisten zustimmen würden, dass man schon krass ignorant sein muss, um sich anti-vegan zu äußern. Alleine schon deshalb, weil das Bewusstsein für die Klimaschädlichkeit einer nicht-veganen Ernährung immer weiter zunimmt. Wir leben ja aber nicht nur vegan, sondern sind im Tierrechtsbereich aktiv und das wird von nicht-veganen Bekannten entweder hingenommen und gar nicht kommentiert oder aber aktiv gutgeheißen. Über die Jahre haben wir auch so einige Leute inspiriert. In dem Unternehmen, in dem ich bis vor Kurzem gearbeitet habe, hat sich der Anteil an vegetarisch und vegan lebenden Menschen in den letzten Jahren verdoppelt. Außerdem gibt es allgemein immer mehr „Vegan Allies“ (also Leute, die selbst nicht vegan sind, eine vegane Lebensweise aber aktiv befürworten und sich oft auch selbst sehr pflanzenbasiert ernähren), zumindest in unserem Umfeld.

Was wir auch in unserer Umfrage herausfanden, ist, dass für die Kinder die vegane Ernährung fast nie ein Problem zu sein scheint, Probleme entstehen vorwiegend aus externen Widerständen. Entspricht dies auch Deiner Erfahrung und den Erfahrungen von anderen Betroffenen, mit denen Du Dich ausgetauscht hast?

Das würde ich so unterschreiben. Die vegane Ernährung ist für unseren Sohn einfach eine Selbstverständlichkeit. Es ist ja auch bestechend logisch: Warum sollte man sich auf eine Art ernähren, die Tieren, dem Klima und alleine schon aus Klimagründen auch Menschen schadet, wenn es auch ganz anders geht? Dass veganes Essen sehr lecker und gesund sein kann – bei uns zu Hause sowieso –, das weiß Liam ja schon immer. Er ist jetzt 11 Jahre alt, identifiziert sich als veganer Aktivist, trägt gerne T-Shirts mit Tierrechtsbotschaften in der Schule und hat schon eine ganze Reihe entsprechender Vorträge gehalten. Aber wir wissen ja alle, dass es immer Kinder gibt, die mit Anderssein nicht umgehen können, und daher hat er leider schon die eine oder andere Mobbing-Erfahrung gesammelt. Bei Liam kommt noch dazu, dass er sein Anderssein sehr selbstbewusst lebt, das scheint manche noch mal besonders zu provozieren. Da wird dann zum Beispiel „Nur noch Fleisch, niemals Gemüse“ oder ein anderer geistreicher Slogan gesungen, wenn er vorbeiläuft, oder intensiv und langatmig über bluttriefende Steaks gesprochen, wenn er in der Kantine mit am Tisch sitzt. Liam nimmt es sich glücklicherweise nicht besonders zu Herzen, er ist einfach genervt und peinlich berührt davon, wenn sich andere Kinder so verhalten. Aber natürlich gibt es auch Kinder, die auf so etwas ganz anders reagieren und sich zurückziehen, das habe ich bei befreundeten veganen Familien auch schon mitbekommen. Solches Mobbing darf einfach nicht hingenommen werden, hier müssen wir als Eltern die pädagogisch Verantwortlichen ins Handeln bringen oder eben selbst eingreifen. Das geht natürlich nur, wenn ein enges Vertrauensverhältnis zum Kind besteht, denn wenn das nicht gegeben ist, besteht die Gefahr, dass sich das Kind nicht öffnet und einfach nichts erzählt. Liam weiß, dass er mit uns über alles reden kann, wir sind mit der Lehrkraft im Austausch, die da auch schon aktiv eingeschritten ist, und mischen uns, wo nötig, auch ganz direkt ein. Die Kinder müssen wissen, dass sie sich bei so was immer auf die Eltern verlassen können. Es ist unsere Aufgabe, sie zu stärken und im konkreten Fall ganz gezielt dabei zu unterstützen, solche Problemsituationen zu lösen.

Es gibt aber auch viele positive Dinge zu berichten: Unter anderem verwendet der Hortleiter an Liams Schule für das beliebte „Brutzelbrot“ im Hort vegane Margarine statt Butter, seit ich ihm erzählt habe, dass Butter zu den klimaschädlichsten Produkten überhaupt gehört. Und seine Klassenlehrerin hat im letzten Schuljahr eine Ausstellung mit dem Titel „Mit Essen die Welt retten?!“ auf die Beine gestellt, bei der es um das große Potenzial einer pflanzlichen Ernährung ging. Damit hat die Klasse einen Preis bei einem Wettbewerb der Aktion Pflanzen-Power gewonnen – und damit auch Geld für den Schulförderverein. Beides wäre nicht passiert, wenn es Liam in dieser Klasse bzw. Schule nicht gäbe.

Hast Du Erfahrungen mit der Politik, den Medien, der DGE oder den Vernetzungsstellen gemacht, die für die Schulernährung zuständig sind? Wie sind die Reaktionen?

Unglaublicherweise hat sich auf unsere Schreiben nur die DGE gemeldet, ansonsten wurden wir von den verantwortlichen Stellen komplett ignoriert. Das von uns angeschriebene Mitglied von Parents for Future hat sich gemeldet und die Unterstützung von P4F zum Ausdruck gebracht und mit ProVeg bzw. der Aktion Pflanzen-Power und PETA hatte ich dazu schon vorher Kontakt.

Es ist wirklich bedenklich, dass sich die Zuständigen hier einfach aus der Verantwortung ziehen, gerade in Bezug auf die Situation in Berlin. Hier wird ja gegen geltende Vorgaben verstoßen: Der DGE-Qualitätsstandard für die Schulverpflegung ist in Berlin verbindlich, es wird aber nicht nach dem aktuellen Standard verpflegt, sondern nach dem vorherigen, der signifikant größere Mengen an Tierprodukten vorsieht. Das darf einfach nicht sein, daher lassen wir gerade prüfen, was hier rechtlich möglich ist, und versuchen weiterhin, politisch Druck zu machen.

Warum ist die vegane Ernährung von Kindern wichtig?

Die vegane Kinderernährung ist unter anderem deshalb sehr wichtig, weil sie Vorbildfunktion hat, würde ich sagen. Die meisten Menschen essen Fleisch, weil die meisten Menschen Fleisch essen, das wissen wir ja. Jede einzelne Person, die da ausbricht und es anders macht, zählt und ist automatisch Vorbild für andere. Wer meinen Sohn kennt, weiß, dass Kinder gesund und glücklich vegan leben können, und wird automatisch mit der Thematik konfrontiert, womit natürlich ein gewisser Positionierungszwang einhergeht. Und das ist auch gut so.

Ich bin der Meinung, dass der Veganismus erst dann wirklich in der gesellschaftlichen Mitte angekommen ist, wenn wir das auch in Bezug auf die vegane Kinderernährung ganz klar sagen können. Und so weit ist es noch nicht. In diesem ganzen Bereich hat sich zwar wahnsinnig viel getan – die DGE äußert sich heute sehr viel weniger ablehnend dazu als noch vor wenigen Jahren, es gibt immer mehr vegane Familienkochbücher und zumindest vegetarisches Essen ist heute in sehr vielen Kitas und Schulen selbstverständlich. Aber es gibt eben immer noch große Hürden. Dazu gehören unter anderem Vorurteile und fehlendes Wissen in Bezug auf den gesundheitlichen Aspekt. Ein wichtiger Punkt ist aber auch, dass vegane Essensangebote in Schulen und anderen Gemeinschaftseinrichtungen für Kinder und Jugendliche immer noch alles andere als eine Selbstverständlichkeit sind.

Was sagt Ihr zu kritischen Stimmen, die eine vegane Ernährung von Kindern für Manipulation oder Zwang halten?

Wer so etwas sagt, hat einfach ein komplett anderes Erziehungsverständnis als wir. Liam wäre einfach nicht vegan, wenn er nicht vegan sein wollen würde. Zu Hause wird vegan gegessen, aber wie sollten wir ihn denn zwingen, bei Freund*innen, in der Schule, auf der Klassenfahrt etc. vegan zu essen? Mal ganz abgesehen davon, dass es uns einfach nie einfallen würde, da Zwang auszuüben. Und wir kennen auch keine anderen veganen Eltern, die das tun würden. Für die veganen Kinder, die wir kennen, ist es einfach selbstverständlich, vegan zu leben.

Ich habe aber schon einige Kinder und Jugendliche kennengelernt, die sich vegetarisch oder auch vegan ernähren wollen – aber eben Eltern haben, die ihnen das einfach rundheraus verbieten. Da passt das Wort Zwang dann. In solchen Fällen finde ich es wichtig, die bestehenden Handlungsoptionen aufzuzeigen, also zum Beispiel darauf hinzuweisen, dass in den meisten Schulen jeden Tag vegetarisch gegessen werden kann (an manchen Schulen muss leider auch das vegetarische Essen als „Sonderessen“ bestellt werden) oder es auch schon ein toller Schritt ist, statt Kuhmilch mal Hafermilch zu trinken, statt Butter mal Pflanzenmargarine aufs Brot zu schmieren usw. Generell macht es mich einfach todtraurig, wenn ein Kind so was sagt wie „Ich warte, bis ich groß bin, dann kann ich was ändern“ – und das habe ich so oder so ähnlich in dem Kontext schon mehrmals gehört. Viele Kinder erleben sich nicht als selbstwirksam und ich bin sehr froh, dass das bei Liam so ganz anders ist. Er hat schon einige Leute zum Nachdenken gebracht, weiß das auch und ist zu Recht auch stolz darauf.

Ich bin auch der Meinung, dass es immer mehr Manipulation vonseiten tiernutzender Industrien und all jener braucht, die im Ernährungsbereich keine großen Veränderungen sehen wollen, um Kinder von der Realität der Tierhaltung und ihren Auswirkungen abzuschirmen. Die Kinder sehen beim Einkaufen mit ihren Eltern ja das immer größer werdende vegane Angebot in den Supermärkten und bekommen mit, dass immer mehr Menschen ihre Ernährung umstellen. Und mit steigendem Klimabewusstsein nimmt bei immer mehr Eltern und Kindern auch das Bewusstsein dafür zu, dass eine tierbasierte Ernährung die Klimakrise befeuert. Mal ganz abgesehen davon, dass unser Umgang mit Tieren gesamtgesellschaftlich glücklicherweise immer stärker reflektiert wird – dank des Einsatzes engagierter Lehrkräfte und Bildungsaktivist*innen auch in der Schule.

Siehst Du Hinweise auf positive Entwicklungen?

Absolut! Gerade ist vieles im Gange und immer mehr Leuten wird klar, dass eine Ernährungs- und Agrarwende unumgänglich ist. Ohne grundlegende Veränderungen in diesen Bereichen haben wir keine Chance, die Klimakrise zu bewältigen. Die DGE spricht sich heute ganz klar für eine pflanzenbasierte Ernährung aus und hat sich in den letzten Jahren auch in Sachen rein pflanzliche Ernährung ein ganzes Stück nach vorne bewegt. Auch wegen der Antworten der DGE auf unsere Anfrage bin ich zuversichtlich, dass sich schon bald einiges ändern wird und ganz allgemein deutlich geringere Mengen an Tierprodukten empfohlen werden. Das wird sich dann in den Qualitätsstandards der DGE für die verschiedenen Lebenswelten (Kita, Schule etc.) widerspiegeln und die müssen dann endlich in ganz Deutschland verbindlich werden, denn die Gemeinschaftsverpflegung ist einfach ein Riesenhebel.

Herzlichen Dank für dieses Interview

Liam spricht beim Veganen Sommerfest 2023 in Berlin über seinen Aktivismus. (Foto: Miyeon Choi )

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