Interview mit Julia – Gründerin von “Tofunatives” über die Vernetzung veganer Familien

Interview mit Julia – Gründerin von “Tofunatives” über die Vernetzung veganer Familien

Im Interview schildert Julia ihren Alltag mit zwei veganen Kindern und wie sie über Tofunatives vegane Familien aus dem „Einzelkämpfertum‘ herausbringen möchte.

Julia ist Mutter zweier Kinder und weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, immer dafür zu sorgen, dass ihre Kinder bei allen Anlässen eine gleichwertige vegane Alternative zur Verfügung haben.

Sie weiß auch, dass sich vegane Familien oft unfreiwillig in einer „Einzelkämpfer:innenposition” wiederfinden und mit vielfältigen Schwierigkeiten in der Gesellschaft konfrontiert sehen. Für umso wichtiger hält sie das Engagement der Eltern, damit ihre Kinder entspannt vegan aufwachsen können.

Da dieses Engagement viel Krafteinsatz erfordert und nicht immer einfach ist, plädiert Julia für eine stärkere Vernetzung veganer Familien und schafft hierfür mit Tofunatives eine Struktur.

HINTERGRUND

Vegane Eltern müssen sich zum Beispiel in Kindertagesstätten immer wieder Kritik anhören. Ihren Kindern wird oft eine vegane Verpflegung verweigert, sodass viel Engagement und Resilienz, aber auch Gelassenheit erforderlich sind, damit die eigenen Kinder glücklich und gesund vegan aufwachsen können.

So berichteten auch in einer Umfrage von vegan.eu nahezu alle befragten Eltern von Erschwernissen, Barrieren oder Ausgrenzungen, die ihnen oder ihren Kindern allein aufgrund der veganen Ernährung begegneten. Diese Situation ist auch deshalb bizarr, weil es keine Ernährung gibt, die so klima- und umweltschonend ist wie der vegane Ansatz. Trotzdem wird veganen Familien nach wie vor der Alltag erschwert.

Einer der Hauptgründe für die Probleme veganer Familien sind die vegankritischen Stellungnahmen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), die dem Schritt der Zeit nicht standgehalten haben. Allerdings deutet sich an, dass die DGE zu einer Veränderung ihrer Position gelangen könnte, was für vegane Familien eine große Erleichterung zur Folge hätte.

Im Interview schildert Julia die vielfachen Schwierigkeiten, die sie selbst erlebte. Vor allem aber ermutigt sie vegane Eltern, nicht zu resignieren, sondern sich mit Engagement und Vernetzung für ihre Familien und Kinder einzusetzen.

Du hast zwei vegane Kinder und bist seit Jahren zu diesen Fragen aktiv. Kannst Du Dich und Deine Projekte kurz vorstellen?

Ich bin Julia, 44 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern im Grundschulalter, die von klein auf vegan aufwachsen. Selbst lebe ich seit mehr als neun Jahren vegan, habe mich aber bereits als Kind entschieden, kein Fleisch zu essen. Daher kenne ich auch aus eigener Erfahrung die großen und kleinen Hürden, die Kindern, die sich anders ernähren, begegnen können, und weiß, wo sie Unterstützung brauchen. Bei meinen eigenen Kindern ist es mir wichtig, sie so zu begleiten, dass sie Veganismus als positiv und bereichernd empfinden und sich ganz aufs Kindsein konzentrieren können.

Letztes Jahr habe ich, nachdem es schon lange in mir gebrodelt hat, endlich angefangen, Tofunatives ins Leben zu rufen und zum Thema „Vegane Kinder achtsam begleiten" auf Facebook und Instagram zu posten.

Nun entsteht aus diesem Projekt etwas ganz Neues und ich plane, mittelfristig einen digitalen Mitgliederbereich für vegane Eltern anzubieten, der der Vernetzung untereinander dienen, aber auch regelmäßig Impulse und Hilfestellungen über die unterschiedlichen Lebensphasen hinweg bieten soll. Hier soll verschiedensten Themen Raum gegeben werden, beispielsweise der Frage, wie man damit umgeht, wenn die vegane Lebensweise in der Verwandtschaft auf Unverständnis stößt, oder wie vegan in Schule und Kita realisierbar ist. Demnächst dazu mehr auf www.tofunatives.com.

Ich war auch vom 16. bis 18. Juni auf dem veganen Sommerfest in Berlin und im Juli beim Vegan Summer in Eckernförde vertreten, was ein toller Erfolg war. Außerdem halte ich auch in Zukunft Vorträge und Kochworkshops zum Thema.

In einer Umfrage von uns unter mehr als 900 Eltern von veganen Kindern berichteten diese über weit verbreitete Ablehnung und Diskriminierung. Erlebst Du dies auch?

Ich habe selbst an der Umfrage teilgenommen.

Die Frage zu beantworten ist anspruchsvoll, da sie unterschiedliche Ebenen anspricht und exemplarische Anekdoten nicht immer isoliert betrachtet werden sollen. Daher ja, es ist ein bisschen komplex.

Ja, ich habe durchaus auch schon offene Diskriminierung erlebt, vor allem bei der Kitaplatz-Suche. Da gibt es Kitas, die direkt abwinken, und ganz besonders drastisch war die Erfahrung bei der ersten Infoveranstaltung der Kita, in der wir letztendlich doch gelandet sind.

Dort hatte der Vater der Kinder während der Infoveranstaltung ganz vorsichtig angefragt, wie denn die Kita mit anderen Ernährungsformen umginge, und zählte „vegetarisch, mit Allergien, muslimischen Kindern oder vegan” auf. Eine Mitarbeiterin stürzte sich dann sofort auf das Wort vegan und hielt einen Vortrag darüber, dass vegan Kindeswohlgefährdung sei und sie das nicht unterstützen würden. Da wir in einer Großstadt lebten, wir zwei Plätze für die Kinder brauchten, es eine Kita war, die gerade eröffnete, und uns diese Plätze auch bereits zugesichert worden waren, gingen wir mit der Leiterin ins Gespräch. Letztendlich konnten wir uns schnell darauf einigen, dass wir zunächst Selbstversorgung praktizieren und von dem Verpflegungsbeitrag befreit würden. Später bot uns die Kita an, die vegane Verpflegung komplett zu übernehmen. Die Mitarbeiterin, die sich so weit aus dem Fenster gelehnt hatte bei der Infoveranstaltung, hat sich übrigens bei uns entschuldigen lassen.

Dennoch war das keine einfache Situation, sondern war erstmal mit sehr viel Anspannung verbunden. Aber daraus wurde letztendlich ein positiver Prozess, aus dem alle Beteiligten lernen durften.

Man darf nicht vergessen, dass dies meistens für alle Beteiligten Neuland ist. Neuland impliziert dann vor allem Verunsicherung auf allen Seiten, was gerade Menschen, die in persönlicher Verantwortung stehen, wie Kita- oder Schulleiter, oftmals – und auch verständlicherweise – zögerlich und vorsichtig agieren lässt. Schließlich gibt es für diesen Fall oft keine klare Vorgabe wie beispielsweise bei muslimischen Kindern, die kein Schweinefleisch konsumieren.

Für das Kitapersonal ist es neu, vegane Kinder mitzudenken – von Süßigkeiten bei Kindergeburtstagen über die Verpflegung bis hin zu anderen Materialien bei Osterbräuchen etc. Und für die Eltern ist es ungewohnt, wenn ihre Kinder erstmals fremdbetreut werden und das zumeist von Menschen, bei denen man nicht weiß, wie achtsam sie mit veganen Themen umgehen. Das braucht gegenseitig viel Vertrauen und Kommunikation und gegenseitige Unterstützung. Aber es liegt darin auch die große Chance, es für alle Kinder inklusiver zu gestalten, denn auch Allergikerkinder profitieren davon, wenn sie nicht die Einzigen sind, bei denen etwas anders gehandhabt wird. Dabei sollten sich alle Beteiligten im Klaren darüber sein, dass man neue Wege beschreitet.

Aber dennoch hat das in dem Fall gut funktioniert. Allerdings haben sich andere Situationen manchmal auch als deutlich schwieriger als anfangs erwartet herausgestellt, insbesondere wenn die Beteiligten zwar grundsätzlich offen waren, aber schlecht organisiert und einfach nicht an die Kinder mitgedacht haben.

In unserem privaten Umfeld hatte ich wenig negative Erfahrungen, da ich bereits sehr früh sehr klar und offen zu dem Thema kommuniziert habe. In einigen Fällen mag dies nicht sofort auf Gegenliebe gestoßen sein, aber gerade dann mit eigenen Augen mitzuerleben, wie Kinder in einem veganen Umfeld gedeihen können, hilft dabei, Akzeptanz und Verständnis zu schaffen.

Zudem hatten meine Kinder und ich das Glück, dass gerade in den Anfangsjahren unser Umfeld immer veganer wurde und wir auch mehrere vegane Familien im näheren Umfeld hatten.

Wie sind Deine Erfahrungen oder die Erfahrungen Deines Umfeldes mit der Akzeptanz von veganer Verpflegung in Kindergärten und Schulen?

Meine persönlichen Erfahrungen hatte ich ja bereits geschildert. Ich beobachte bisher aber auch, dass der Einstieg in die Fremdbetreuung für viele vegane Familien häufig zur Nagelprobe bezüglich ihrer Kinder wird. Hier wird oftmals, weil Alternativen fehlen oder nicht gesehen werden, ein fauler Kompromiss akzeptiert bzw. geschlossen.

Wie entscheidet man sich zum Beispiel, wenn man eine Einrichtung findet, die vom Erziehungsstil relativ gut passt, aber partout kein veganes Essen ermöglichen will, oder andersherum, wenn man eine Einrichtung findet, die veganes Catering oder Selbstversorgung ermöglicht, aber vom Konzept sonst völlig unpassend erscheint?

Hier entsteht dann sehr schnell ein unvermeidbares Konfliktfeld, welches nur schwer zu navigieren ist. Gerade in solchen Spannungsfeldern versuche ich mit Tofunatives, dafür zu sorgen, dass man sich in solchen Situationen nicht alleine gelassen fühlt, sondern von der Erfahrung anderer auch mitprofitieren kann. Ich habe zuvor von „neuen Wegen” gesprochen und dazu ist auch zu sagen: Alleine das Wissen, dass jemand vor mir schon diesen Weg gegangen ist und das gut überstanden hat, kann Sicherheit und Selbstbewusstsein schaffen, um sich dann eben nicht in faule Kompromisse drängen zu lassen.

Exemplarisch kann ich berichten, dass die Chancen relativ gut stehen, in Waldorfkitas oder Waldkindergärten veganes Essen zu bekommen. Bei Ersteren ist es natürlich eine Frage, ob sich die Eltern mit dem Konzept arrangieren können. Leider sind bei diesen beiden Varianten die Kinder beim Einstieg meist älter, weshalb dies auch nicht für alle Familien und Lebenssituationen in Frage kommt.

Meine Kernaussage ist immer, dass man mit dem Team vor Ort spricht. Kommunikation und Abstimmung zwischen der Familie und der Institution sind wichtig. Ich weiß, dass dies anstrengend sein kann und Engagement voraussetzt, es ist aber essenziell für ein Gelingen des Kita-Besuchs, auch mit Blick auf außergewöhnliche Ereignisse wie z. B. Feste und besondere Aktivitäten. Als Eltern ist es zum Beispiel ratsam, nicht nur vegane Süßigkeiten für alle Eventualitäten zu hinterlegen, sondern auch immer aufmerksam auf den Aushängen zu schauen, was demnächst ansteht, mit den Erzieher:innen im Austausch zu bleiben, Unterstützung durch Rezepte und Co. anzubieten und auch selber bei Feiern mit veganen Buffetbeiträgen präsent zu sein. Oftmals liegt auch kein böser Wille vor, sondern die alten Pfade sind noch so omnipräsent, dass es manchmal mehr als nur ein Augenpaar benötigt, um eingeschliffene Gewohnheiten abzulegen. Meiner Erfahrung nach sind Einrichtungen oft bereit, ihre Prozesse anzupassen, sobald eine entsprechende Eltern-Erzieher:innen-Kommunikation entstanden ist.

Was wir auch in unserer Umfrage herausfanden, ist, dass für die Kinder die vegane Ernährung fast nie ein Problem zu sein scheint, Probleme entstehen vorwiegend aus externen Widerständen. Siehst Du dies auch so?

Ja. Zumindest habe ich bei meinen Kindern das Glück, dass sie nahezu alles essen, was vegan ist, und ich in der Kita häufig die Rückmeldung bekam, dass sie selten Kinder sehen, die Essen so sehr zelebrieren.

Veganes Essen hat für sie gar nichts mit Verzicht zu tun, sondern eben sehr viel mit Genuss. Ich koche sehr gerne und sie probieren auch sehr viel aus, sodass sie neben Standardessen und Fastfood wie Pizza, Sushi, Burger und Co. nicht nur sämtliche Landesküchen in vegan kennen, sondern auch Lebensmittel wie z. B. Durian, Tempeh oder Natto. Für sie sind Einhorn- oder Meerjungfrauentorte zum Geburtstag ähnlich selbstverständlich wie für andere Kinder auch. Es birgt auch Chancen, wenn es Markenprodukte wie Toffifee oder Kinder-Country eben nicht in vegan zu kaufen gibt, man es aber gemeinsam selber zubereiten kann. Zumindest erlebe ich, dass meine Kinder sich schon früh positiv mit Lebensmitteln auseinandersetzen und schon sehr viel selbst zubereiten können.

Schwierig wird es dann, wenn Ausschluss- oder Verzichtssituationen geschaffen werden. Und das hat nichts mit Veganismus zu tun. Man liest häufiger, dass andere Menschen ihren Kindern „die Wahl” lassen, ob sie etwas Nichtveganes probieren wollen oder nicht.

Das finde ich persönlich sehr problematisch. Denn einerseits sehe ich da nicht wirklich eine echte Wahl, sondern es geht um den Schein. Will das Kind, das die „Wahl” zwischen einer nichtveganen Torte und vielleicht noch einem trockenen veganen Keks oder einem Stück Obst hat, wirklich etwas Nichtveganes essen, wenn es sich für Torte entscheidet, oder will es einfach nur Torte? Und ist das Kind überhaupt in der Lage, eine informierte Entscheidung zu treffen? Ist es in der Lage, all das zu erfassen, was hinter dem tierischen Produkt steckt? Falls nein, welche Verantwortung bürde ich damit dem Kind auf? Und womit verbinden Kinder Veganismus, wenn sie vor die Wahl tierische Produkte oder Verzicht gestellt werden?

Das Kind möchte in dieser Situation doch einfach nur Kuchen und nicht gleichzeitig in eine moralische Debatte gestürzt werden. Dafür gibt es meist einen anderen Ort und eine andere Zeit, vor allem wenn das Kind älter, mündiger, informierter geworden ist und ihm und seiner Meinung einfach auch wegen des Alters mehr Gewicht beigemessen wird. Aber darauf komme ich gleich zurück.

Mir ist es daher immer wichtig, dafür zu sorgen, dass meine Kinder, egal wo sie sind, eine mindestens gleichwertige vegane Alternative haben. Meist nehme ich auch noch mehr mit, damit die anderen Kinder auch probieren können. Das ist allerdings aufwändig und setzt auch viel Kommunikation voraus, die vielleicht auch nicht immer ganz einfach ist. Aber für die Kinder sollte es einfach sein, sich vegan zu ernähren. Gerade in vertrautem Umfeld sollten sie nicht fragen müssen, sondern darauf vertrauen können, dass ihnen nur Veganes angeboten wird und sie keinen Verzicht erleben.

Ich möchte ergänzen, dass es für Kinder ungleich schwieriger bzw. überfordernd wäre, diese Aushandlungsprozesse mit anderen Erwachsenen zu führen. Die Rahmenbedingungen spreche ich daher mit den anderen Erwachsenen vorab immer ab. Ich frage die Gastgeber:innen, was sie anbieten bzw. was vegan ist, sodass ich die Teile, die nicht vegan sind, in vegan ergänzen kann. Und wenn man bedenkt, wie man sich in einer solchen Situation als erwachsene Person gegenüber vielleicht eher fremden Eltern oftmals überwinden muss, sollte man vielleicht überlegen, in welcher Position ein Kind sich befindet, das Tiere liebt und nicht ausbeuten möchte. Ein Kind kann aber einerseits lange Zeit noch gar nicht klar auseinanderhalten, was vegan ist und was nicht, und möchte dann teilweise auch z. B. die Großeltern nicht enttäuschen oder traut sich bei fremden Erwachsenen nicht und ist schon gar nicht in der Lage, sich selbst ohne Unterstützung adäquate Alternativen zu besorgen.

In meinem Erleben ist es für die Kinder viel einfacher zu verstehen, dass man Tiere nicht isst und ihnen auch sonst nicht schadet, als ihnen zu erklären, dass andere Menschen, weil sie anders aufgewachsen sind, aus Gewohnheit Tiere essen und dennoch grundsätzlich keine bösen Menschen sind. Dabei hilft es, ihnen zu erklären, dass manche Menschen gar nicht wissen, was man alles Tolles vegan machen kann. Aber auch Kinder haben manchmal Momente, wo sie sich fragen, warum nicht einfach alles vegan sein kann und sie frustriert sind, weil andere das, was für sie so selbstverständlich ist, nicht verstehen und Tiere dafür leiden müssen. Und auch dieser Frust gehört dazu und braucht Begleitung.

Siehst Du eine positive Entwicklung oder bleibt für vegane Familien letztlich bisher doch alles beim Alten?

Es entwickelt sich langsam. Gerade als vegane Familie stößt man durchaus Denkprozesse an, weil das persönliche Erleben eben nicht dem Klischee aus reißerischen Zeitungsartikeln entspricht.

Insbesondere im privaten Bereich kann man häufig positive Überraschungen erleben, wenn z.B. die Oma lernt, dass sie die Enkelkinder mit veganer Bolognese oder veganem Apfelkuchen verwöhnen kann, oder wenn mal gar nicht auf die für solche Anlässe hinterlegten veganen Süßigkeiten zurückgegriffen werden braucht, weil ein:e Mitschüler:in extra vegane Muffins an ihrem Geburtstag mitbringt oder man offene Türen einrennt und Gastgeber:innen ganz konstruktiv mitdenken.

Gefühlt ist es aber immer eine zähe und zu  langsame Entwicklung und bislang „kämpft” jede Familie erstmal alleine – gerade bei den Themen Kita- und Schulverpflegung. Ja, es gibt Angebote von Proveg,  z. B. um Caterer zu schulen, aber diese Angebote müssen erst einmal bekannt sein, dann angenommen werden und Verbreitung finden. Und es müssen Offenheit und der Wille bei Kitas und Co. vorhanden sein, ein entsprechendes Angebot zu schaffen. In diesem Punkt muss man sich auch ins Bewusstsein rufen, dass man als vegane Eltern nicht nur für seine eigenen Kinder kämpft, sondern auch vielen nachfolgenden Familien den Weg ebnet.

Das ist auch eines der Kernziele des geplanten Mitgliederbereichs, das Gefühl des Einzelkämpfertums der veganen Familien abzumildern. Dazu gehört auch, Erfahrungen mit Kitas und Caterern zu sammeln und miteinander zu teilen, aber vor allem, sich gegenseitig auch während dieses Prozesses zu unterstützen und Hilfestellung in Bezug auf die Kommunikation zu bieten. Natürlich ist das kein Wundermittel und wird auch einige Mauern in Köpfen nicht verschieben, aber es ist etwas anderes, wenn man damit alleine steht, als wenn man weiß, dass andere auch durchgegangen sind und man auch bei Rückschlägen andere hat, mit denen man sprechen kann und die einen unterstützen.

Hast Du irgendwelche Erfahrungen mit der Politik, Medien, DGE etc. gemacht im Hinblick auf das Thema vegane Kinderernährung, Kindergärten und Schulen?

Mir ist die Fragestellung vermutlich nicht ganz klar. Die DGE-Standards werden häufig herangezogen, um vegane Verpflegung abzulehnen, allerdings hat die DGE inzwischen selbst in einer Sonderbeilage herausgestellt, wie positiv das vegane Essen im Kinderladen Mokita ist, und Proveg hat im Rahmen von Aktion Pflanzen-Power und KEEKS darauf aufmerksam gemacht, wie viele vegane Mahlzeiten die DGE-Standards eigentlich sogar befürworten.

Warum ist die vegane Ernährung von Kindern wichtig? Was sagst Du zu kritischen Stimmen, die eine vegane Ernährung von Kindern für Manipulation oder Zwang halten?

Zunächst einmal können Kinder anfangs überhaupt nicht entscheiden, wie sie ernährt werden. Diese Entscheidung treffen immer die Eltern. Zudem können Kinder auch lange nicht die Hintergründe verstehen und insofern geht es hier auch, wie weiter oben schon erläutert, nicht um eine wirkliche „Wahl”.

Abgesehen davon ist das, was man als Kind isst, sehr prägend. Wer eigentlich erkannt hat, dass vegan sinnvoll ist, aber dennoch Schwierigkeiten hat, die alten Gewohnheiten umzustellen, weiß, wovon ich rede.

Zudem geht das auch einher mit starken Verdrängungsmechanismen. Es dauert ja auch erst einmal eine ganze Weile, bis ein Kind wirklich versteht, dass das, was ihm da bislang als Essen vorgesetzt wurde, vorher ein fühlendes Lebewesen war, und was alles passieren muss, damit es das nicht mehr ist, oder auch, was alles mit der Milchproduktion zusammenhängt. So dürfte zum Beispiel die Frage, wann wir uns dafür entschieden haben, Fleisch zu essen, für die meisten Menschen schwer zu beantworten sein.

Die meisten Menschen wachsen in diesen Konflikt hinein, dass sie Tiere lieben, aber von klein auf an den Geschmack ihrer toten Körper etc. gewöhnt wurden. Kinder, die vegan aufwachsen, haben die Chance, frei davon aufzuwachsen und dann eine Entscheidung zu treffen, wenn sie alle Informationen verstehen können.

Nebenbei lernen sie viele andere Fähigkeiten – zum Beispiel, mit Menschen, die einen anderen Lebensstil haben, friedlich umzugehen und dennoch für die eigenen Werte einzustehen.

Zum Thema „Zwang” bzw. „Wahl” habe ich ja schon einiges ausgeführt. Ich denke nicht, dass Kinder darauf bestehen, dass für das, was sie essen, ein Tier ausgebeutet oder getötet werden soll, sondern darauf, dass sie einfach nicht ausgeschlossen werden und sie Eis haben, wenn andere Kinder Eis haben oder Torte oder was auch immer.

Natürlich funktioniert es nicht immer hundertprozentig, dass alles immer vorbereitet ist. Aber zumindest meine Erfahrung ist, dass Kinder, die sich grundsätzlich darauf verlassen können, dass sie spätestens bei der nächsten Möglichkeit eine vegane Alternative bekommen, in diesen Ausnahmesituationen ab einem gewissen Alter auch wirklich geduldig sind.

Warum, glaubst Du, bestehen so viele Vorbehalte gegen vegane Familien?

Wie oben bereits geschrieben, werden die meisten Menschen schon früh an den Geschmack tierischer Produkte gewöhnt. Und Menschen sind Gewohnheitstiere. Essen ist nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern es werden Erinnerungen und Emotionen unbewusst mit bestimmten Gerichten verknüpft. All das Negative in Verbindung mit tierischen Produkten wird meist erst wesentlich später im Laufe des Aufwachsens nach und nach erfasst und oft verdrängt, weil es unangenehm ist, sich damit auseinanderzusetzen.

Dr. Melanie Joy bezeichnet das Phänomen, das dahintersteckt, als Karnismus. Menschen, die so aufwachsen, sind oft davon überzeugt, dass es „normal”, „natürlich” und „notwendig” sei, tierische Produkte zu essen. Insbesondere am letzten Punkt kratzen Veganer:innen durch ihre bloße Existenz.

Die Vorbehalte gegen vegane Familien speisen sich zum Teil aus dieser Art der Sozialisation, aber sie gehen noch darüber hinaus.

Man braucht ja nur in die Medien zu schauen. Da werden fehlernährte Säuglinge aus Australien oder Belgien herangezogen, um vegane Kinderernährung zu diskreditieren, wenn es auch nur marginal in das Schema passt. Schaut man sich die Beispiele genauer an, sieht man, dass es nicht an veganer Ernährung, sondern an extremer Fehlernährung und Nahrungsauswahleinschränkung und kompletter Verweigerung von Arztbesuchen und anscheinend völliger Unkenntnis der Eltern lag.

Dass das nichts mit ausgewogener veganer Kinderernährung zu tun hat, interessiert Menschen, die sich damit nicht näher beschäftigen, wohl eher weniger. Stattdessen bleibt dann eher hängen, dass vegane Kinderernährung tödlich sei. Ähnlich sind aber auch viele populärwissenschaftliche Artikel aufgebaut, wo bei dem Thema erstmal ellenlang die Folgen von B12-Mangel ausgebreitet werden, bevor man zu dem Punkt kommt, dass man diesen auch mit sehr einfachen Mitteln von vornherein vermeiden kann.

Das verfestigt eventuell bereits vorhandene Vorurteile.

Die vielen veganen Kinder, die gesund aufwachsen, werden dabei ebenso übersehen wie die Tatsache, dass vegane Eltern sich meist sehr gut informieren. So zeigten sich z. B. bei der VeChi-Studie und der VeChi-Youth-Studie (https://vechi-youth-studie.de/ergebnisse), die die Nährstoffzufuhr von Kindern und Jugendlichen, die sich mischköstlich, vegan oder vegetarisch ernähren, keine größeren Unterschiede zwischen den drei Gruppen, wobei vegane Kinder und Jugendliche zum Beispiel sogar besser mit B12 versorgt waren als Kinder und Jugendliche, die vegetarisch ernährt wurden.

Leider ist dies auch bei einigen Ärzten nicht angekommen, da Ernährung im Medizinstudium keine große Rolle spielt. Vegane Familien erfahren dort daher nur selten Unterstützung, obwohl die im Rahmen einer guten medizinischen Begleitung sehr vorteilhaft wäre. Stattdessen gibt es sogar vereinzelt Mediziner:innen, die sich außerhalb ihrer Expertise äußern und medienwirksam inszenieren, was das Vertrauen veganer Eltern, sich mit ihren Anliegen an Ärzte wenden zu können und ernst genommen zu werden, schwächen kann.

Was kann getan werden, um sich gemeinsam noch effektiver für mehr Wertschätzung, Akzeptanz und Teilhabe veganer Familien und Kinder einzusetzen?

Ich hoffe, mit meinem Mitgliederbereich ein Angebot zu schaffen, das diese wohl sicher längere gesellschaftliche Übergangsphase erleichtert. Natürlich kann jede:r Einzelne auch etwas tun. Präsent sein in Kita und Co., sich mit anderen Familien vernetzen, Petitionen und Aktionen unterstützen und einfach vorleben, dass veganes Familienleben möglich ist.

Generell denke ich, dass viele Vorurteile alleine schon dadurch abgebaut werden können, dass vegane Kinder gesund und glücklich aufwachsen. Zumindest habe ich es bislang so wahrgenommen, dass Skepsis eher am Anfang herrschte und ziemlich schnell verflog, als klar war, dass die Kinder ganz normal aufwachsen.

Man kann natürlich auch innerhalb der eigenen Familie unterstützen, Situationen so gestalten, dass sie für alle angenehm sind, und zu veganen Buffets einladen.

Aber das ist auch keine Einbahnstraße. Wie viel positiver wäre es, wenn Menschen, bevor sie Kindern etwas anbieten, zum Beispiel erstmal die Eltern fragen, ob das in Ordnung ist? Viele Eltern von Allergiker:innen und veganen Kindern könnten dann aufatmen, weil sie nicht in dem Konflikt sind, einem sehr kleinen Kind vielleicht eine Enttäuschung zumuten zu müssen, nachdem es bereits erwartungsvoll danach gegriffen hat.

Und wie wäre es, wenn noch öfter als bisher Großeltern, statt sich angegriffen zu fühlen, dass bestimmte Speisen abgelehnt werden, die Chance nutzen und lernen, wie sie ihre Enkel so verwöhnen können, dass es positiv bei ihnen ankommt?

Aber vor allem muss sich viel im institutionellen Bereich tun, sodass vegane Verpflegung und zur Normalität wird. Es wäre generell sinnvoll, Angebote für vegane Familien zu schaffen, sodass diese bei Bedarf dabei unterstützt werden, ihre Kinder gesund vegan aufwachsen zu lassen, statt auf Abschreckung zu setzen.

Denn es sollte doch im Mittelpunkt stehen, dass auch vegane Kinder glücklich und gesund aufwachsen dürfen.

Herzlichen Dank für dieses Interview

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