Vegan essen, aber nicht vegan leben – Was ist davon zu halten?
Attila Hildmann, der Verfasser einiger sehr bekannter Kochbücher, wie „Vegan for Fit“ oder „Vegan for Fun“, ist einer der bei uns wohl medial bekanntesten vegan essenden und kochenden, aber nicht vegan lebenden Personen. Denn er gab öffentlich bekannt, Lederschuhe von Nike zu tragen. Es entwickelte sich vielerorts in veganen Kreisen eine hitzige Diskussion,wobei sich Attila nicht gerade deeskalierend verhielt, sondern – offenbar gekränkt – mit Hohn und Spott gegen die vegane Lebensweiseauftrat.
Die personenbezogene Auseinandersetzung soll hier nicht weiter vertieft werden, es sei aber darauf hingewiesen, dass jedenfalls von der Lektüre der Facebook Seite von Attila derzeit der Eindruck entsteht, dass er sich nun vermehrt mit der tierrechtsbezogenen und ökologischen Problematik auseinandersetzt , was wohl einen Schritt zurück auf die vegane Community zu darstellt. Dies ist erfreulich, zumal es nicht Abrede gestellt werden kann, dass das Auftreten von Attila in der Gesamtbilanz die vegane Ernährung der omnivorischen Gesellschaft näher bringt.
Attila steht mit seiner veganen Ernährung, die nicht in eine vegane Lebensweise integriert ist, durchaus nicht allein, sondern immer wieder kann man Personen begegnen, die sich vegan ernähren, nicht aber für sich den Anspruch erheben, vegan zu leben oder dies zu wollen.
Aus veganer Sichtweise ist also die Frage durchaus relevant: Wie ist eine vegane Ernährung abseits einer veganen Lebensweise zu begründen und was ist von ihr zu halten?
Widerspruchsfreie Begründungen für einen reinen Ernährungsveganismus sind durchaus möglich. Wer ausschließlich aus gesundheitlichen oder fitnessbasierten Erwägungen heraus sich vegan ernährt, der kann ohne innere Dissonanzen weiterhin Leder, Wollprodukte sowie sämtliche anderen Tierprodukte, die nicht gegessen werden,zwanglos erwerben und verwenden.
Umgekehrt gerät aber in nicht auflösbare Widersprüche, wer sich aus tierrechtlichen Gründen für eine vegane Ernährung entscheidet und dennoch nicht vegan leben möchte. Wenn wir nicht wollen, dass Tiere instrumentalisiert, ausgebeutet und getötet werden, um unsere Konsumbedürfnisse zu befriedigen, dannist es nicht einsichtig, warum wir vegan essen sollten, aber nicht gleichzeitig auch vegan leben müssen.
Der Streitpunkt zwischen Ernährungsveganern und Veganernist insofern als ein Streit um die Begründungen für die vegane Ess- bzw. Lebensweise zu bewerten.Ausschließlich auf angestrebte eigene Vorteile bezogene Begründungen stehen ethisch motivierten Begründungen gegenüber, die durch eine vegane Lebensweise die Überwindung der menschlichen Grausamkeit gegenüber den Tierenanstreben und höchstens zusätzlich oder sekundär die gesundheitlichen Vorteile einer veganen Lebensweise betonen. Dabei beruht aber der eigentliche Veganismus, der eine Ausdehnung der veganen Konsumhaltung auf alle Lebensweise beinhaltet, notwendigerweise auf einer ethischen Fundierung und wendet sich daher gegen Schmalspurformen des Veganismus, die sich aus letztlich rein egoistischen Motiven ergeben.
Aus veganer Sichtweise ist daher Vertretern eines reinen Ernährungsveganismus entgegen zu halten, dass ihnen die tiefer gehende ethische Begründung für ihre Lebensart fehlt.
In Wirklichkeit ist eine Zweiteilung in rein egoistisch motivierte Ernährungsveganer und ethisch motivierte echte Veganer wohl eine Vereinfachung. Denn auch bei den Ernährungsveganern – siehe das Beispiel Attila – finden wir in der Regel durchaus ein gewisses Bewusstsein über die ethische Problematik der menschlichen Grausamkeit gegenüber Tieren und den Wunsch durch die eigene Lebensweise dazu beizutragen, diese Grausamkeit zu überwinden.
Wird dies zugrunde gelegt, dann dürften die meisten Ernährungsveganer weniger rein egoistisch motivierte Gegner einer veganen Lebensweise sein, sondern es handelt sich wohl eher um Personen, die sich auf dem Weg zur veganen Lebensweise befinden, denen es aber noch an Stringenz ihrer ethischen Reflektionen und/oder Konsequenz ihres Handelns fehlt. Aus dieser Perspektive sollten Veganer den Ernährungsveganismus zwar kritisieren, sollten ihnen aber dennoch mehr als Fortschritt denn als Ärgernis betrachten. Denn der Ernährungsveganismus beinhaltet bereits Anknüpfungspunkte, um durch eine verstärkte Sensibilisierung für das mit ihm weiterhin verbundene Tierleid den Weg für eine tatsächlich vegane Lebensweise zu bahnen.Wer sich bereits vegan ernährt, für den ist der Weg zu einem veganen Leben nicht mehr weit.
Tatsächlich sind die Übergänge sogar fließend, da selbst diejenigen Veganer, die vegan leben, oft noch vor ihrer Entscheidung für die vegane Lebensweise erworbene oder besessene Tierprodukte weiterhin verwenden. Dies wird unter Veganern allgemein akzeptiert, auch wenn durchaus die negative Modellwirkung der Verwendung von Tierprodukten zu diskutieren ist.
Ebenfalls kommt es gerade in der Anfangsphase der Umstellung zum Veganer sicherlich nicht selten vor, dass - noch mehr oder weniger unreflektiert - weiterhin nicht essensbezogene Produkte gekauft werden, die Tierbestandteile enthalten oder auf deren Basis hergestellt wurden. Beispielhaft sei auf Wollpullover verwiesen, auf die manche Veganer sogar noch nach ansonsten jahrelangem veganen Lebenswandel nicht achten. Hier kann verstärkte Aufklärung über die Leidzufügung bei der Wollproduktion sicherlich hilfreich sein.
Das Phänomen des Ernährungsveganismus ist aus veganer Sichtweise letztlich doppelschneidig: Ein Fortschritt auf dem Weg zu einer veganen Lebensweise, aber auch eine Gefahr, die bei Ausbreitung zu einer Erosion der vorwiegend ethischen Fundierung des Veganismus führen könnte. Um den Fortschrittzu fördern, aber die Gefahren zu begrenzen, wird es wesentlich sein, in einen konstruktiven Dialog zu treten, dabei das Positive zwar anzuerkennen, gleichzeitig aber die ethischen Fragen in den Vordergrund der Argumentation zu stellen. Denn für den eigenen Spaß und die Fitness mögen Menschen vieles tun, was mit einer veganen Lebensweise nicht vereinbar ist, wollen sie aber die Grausamkeit gegenüber den Tieren beenden, führt kein Weg an einer konsequent veganen Lebensweise vorbei.