“Vegan-Lüge” der FÜR SIE
In einem Artikel gelangt die FÜR SIE zu einer verheerenden Einschätzung des Veganismus als einer komplett unzulänglichen Ernährungsweise. Berufen wird sich auf eine Studie über deutsche Veganer, deren Autoren nicht benannt werden, wobei sich die FÜR SIE aber ganz offensichtlich auf eine Forschergruppe bezieht, die sich seit Längerem mit Gesundheitsparametern und der Nährstoffversorgung einer Stichprobe deutscher Veganer befasst (Waldmann et. al., 2003; Waldmann et. al., 2004 a, Waldmann et. al., 2004 b; Waldmann et. al., 2005 a; Waldmann et. al., 2005 b; Ströhle et. al., 2011).
In dem Artikel erfährt der Leser jedoch fast nichts über die tatsächlichen Befunde der Forschergruppe, sondern stattdessen wird einer Frau Dr. Ambrosius Raum gegeben, in einer sehr freien Interpretation der Studienbefunde die vegane Lebensweise in Bausch und Bogen zu verdammen.
Was sagen die Befunde?
Waldmann et. al. (2003) berichten, dass die veganen Studienteilnehmer im Hinblick auf die Zuführungsmengen von Mineralstoffen und Vitaminen die Empfehlungen der deutschen ernährungswissenschaftlichen Gesellschaft erfüllen mit den Ausnahmen Calcium, Jod und Vitamin B12.Bezüglich Calcium lag eine eher geringfügig geringere Zuführung als empfohlen vor, wobei allerdings mittlerweile Ströhle et. al. (2011) deutliche Hinweise dafür aufgefunden haben, dass Veganer möglicherweise einen geringeren Zuführungsbedarf an Calcium haben. Diese Annahme stimmt überein mit den Befunden anderer Wissenschaftler, genäß derer die Knochengesundheit von vegan lebenden Personen nicht beeinträchtigt ist (siehe Ho-Pham et. al., 2012).
Außerdem berichten Waldmann et. al.. (2005 a), dass bei vegan lebenden Personen besonders hohe Antioxidantien-Mengen im Blut gefunden wurden, was erklären möge, so die Autoren, warum bei vegan lebenden Personen eine geringere Häufigkeit chronischer Erkrankungen berichtet werde.
Jedoch ergab sich andererseits, dass in einer Stichprobe von 75 vegan lebenden Frauen - je nach Messart - zwischen 20 bis 40% der untersuchten jungen veganen Frauen ([lt] 50 Jahre), nicht aber der älteren veganen Frauen, zu geringe Eisenwerte im Plasma aufwiesen (siehe Waldmann et. al., 2004 a). Die Autoren empfahlen daher bei erniedrigten Eisenwerten eine Supplementierung zu erwägen, wobei allerdings lediglich bei 3 von den 75 veganen Frauen eine krankheitswertige Verminderung des Ferritin-Spiegels im Sinne einer Eisenmangel-Anämie vorlag. Sicherlich ist hier außerdem relativierend in der Gesamtbewertung ebenfalls zu berücksichtigen, dass erhöhte und auch nur moderat erhöhte Ferritin-Spiegel ebenfalls mit ungünstigen Auswirkungen, insbesondere auf die Herzgesundheit, in Zusammenhang gebracht werden (siehe z.B. Sung et. al., 2007; Mainous [&] Diaz, 2009), auch wenn dies möglicherweise mindestens teilweise dadurch bedingt sein mag, dass Personen mit erhöhten Ferritin-Spiegel im Blut davon unabhängig in höherem Ausmaß eher ungünstige andere Faktoren, wie Bluthochdruck oder erhöhten Cholersterinspiegel,aufweisen (siehe Oshaug et. al., 1995). Natürlich ist der Hinweis aus der Studie von Waldmann et. al. (2004 a) wichtig und erwünscht, dass gerade vegan lebende Frauen unter 50 etwas auf ihre Eisenversorgung achten sollten, da vom Eisen offenbar, trotz grundsätzlicher Zuführung durch die Nahrung, weniger im Blut ankommen mag. Fleischesser müssen demgegenüber weniger auf ihre Eisenversorgung achten, sondern eher auf andere Nährstoffe, wie z.B. Vitamin E, oder auf mögliche zu hohe Aufnahmen von gesättigten Fetten.
Bezüglich kardiovaskulärer Risikofaktoren berichten Waldman et. al., (2005 b) spezifisch, dass der Gesamtcholesterin-Spiegel und vor allem auch das als Risikomarker bewertete LDL bei den deutschen Veganern erniedrigt waren, was als günstig zu bewerten ist. Allerdings berichten sie auch über erniedrigtes HDL, einen leicht erhöhten Homocysteine-Spiegel und einen erniedrigten Cobalamin-Spiegel (Vitamiun B12) im Blut, was als kritisch zu bewerten ist, wobei der geringe Vitamin B12 Gehalt im Blut (Mit)ursache des leicht erhöhten Homocysteine gewesen zu sein scheint. Waldmann et. al. (2004 b) fanden einen Vitamin B12 Mangel bei 28.2% der untersuchten deutschen Veganer und einen Homocystein-Exzesses bei 38.1%. Es scheint insofern zur damaligen Zeit noch eine Reihe von Veganern gegeben zu haben, die nicht Vitamin B12 substituierten und auch nicht auf damit angereicherte Lebensmittel, wie z.B. Kornflakes oder Säfte, zurückgriffen. Dies ist ein basaler Fehler, der eigentlich nicht auftreten sollte und es vermutlich heute auch weit weniger tut als damals zum Zeitpunkt der Datenerhebung.
Fontana et. al. (2007) stellen mit (teilweise) anderen Maßen übrigens rein positive Auswirkungen einer kalorienarmen veganen Ernährungsweise auf kardiovaskuläre Risikofaktoren in den Vordergrund.
Wie geht die FÜR SIE mit den Befunden um?
Es zeigt sich ein gemischtes Bild mit Vorteilen und möglichen Nachteilen einer veganen Ernährung. In der Gesamtbetrachtung werden günstige und kritische Befunde bei vegan lebenden Menschen berichtet, wobei die FÜR SIE durch Frau Dr. Ambrosius aber ausschließlich die kritischen Aspekte anspricht und sogar noch zusätzliche Aspekte, wie angeblichem Zink-Mangel, benennt, die in den Studien gar nicht aufgefunden wurden. Die von Frau Dr Ambrosius desweiteren angesprochene und angeblich inadäquate vegane Ernährung von Kindern wurde in der erwähnten Untersuchung deutscher Veganer ebenfalls überhaupt untersucht, so dass sich auf Basis der Studienbefunde dazu keine Aussagen machen lassen.
Vor allem aber verschweigen FÜR SIE und Frau Dr. Ambrosius, dass bei Fleischessern ebenfalls Nährstoffmängel bestehen können, wenn diese unachtsam sind. Es liegen nicht allgemein bei Veganern mehr Nährstoffmängel vor als bei Fleischessern, sondern es gibt Fleischesser und es gibt ebenfalls Veganer, die ihre Ernährung so gestalten, dass diese nicht hinreichend ist,um ihren Nährstoffbedarf zu decken.
So nehmen bezüglich des erwähnten Jod Fleischesser ebenfalls häufig zu wenig davon auf, gerade in Jodmangelgebieten, weshalb nicht nur für Veganer, sondern ebenso für Fleischesser typischerweise die Verwendung jodierten Speisesalzes empfohlen wird. Sicherlich können Fleischesser einfach mehr Seefisch essen und benötigen dann kein jodiertes Speisesalz, aber auf ebenso einfache Art und Weise können Veganer mehr Algen essen. Tun sie dies nicht, mag die Verwendung von jodiertem Speisealz ihnen zu empfehlen sein wie auch für einen Fleischesser, der keinen Seefisch isst.
FÜR SIE lässt durch Frau Dr Ambrosius die Probleme einer veganen Ernährung aufbauschen und gelangt damit zu Schlussfolgerungen, die der Realität nicht entsprechen. Dies betrifft auch die angebliche Gefährdung von Veganern durch einen Vitamin B12 Mangel. Hier gilt nämlich ganz klar: Veganer sollten Vitamin B12 supplementieren, entweder als direkte Supplemente oder über angereicherte Nahrungsmittel. Es gehört zum Basiswissen einer veganen Ernährung, dass Vitamin B12 zu supplementieren ist. Es gibt aber offenbar Veganer, die dies nicht tun. Dies ist aber nicht der veganen Ernährung im Allgemeinen anzulasten, sondern dies ist ein Problemverhalten einzelner Menschen.
Die Behauptungen von Frau Dr Ambrosius, dass eine Supplementierung nicht hinreichend sei, entbehren jeder Grundlage und werden durch keine einzige wissenschaftliche Studie unterstützt. Veganer, die Vitamin B12 ausreichend supplementieren, wie es auch viele Fleischesser, z.B. durch Konsum von Vitaminsäften, tun, leiden nicht an einem Vitamin B12 Mangel und entsprechend auch an keinerlei dadurch bedingten Folgen, es sei denn es liegt eine physiologisch bedingte Absorptionserschwernis vor, die aber mit der veganen Ernährung oder Supplementierung nichts zu tun hat und dann genau so bei Fleischkonsum bestehen würde.
Es ist ein leichtes für vegan lebende Menschen eine hinreichende Vitamin B12 Versorgung durch z.B. eine tägliche Supplementierung von 5 Mikrogramm Vitamin B12 sicherzustellen. Sollte die Absorption beeinträchtigt sein, hat dies nichts mit der veganen Ernährung zu tun. In diesem Fall mag es bei Veganern ebenso wie bei fleischessenden Personen notwendig sein, eine Zuführung über Spitzen vorzunehmen.
Die erforderliche Supplementierung ist kein Argument gegen die vegane Ernährung, zumal Fleischesser nicht nur in vielfältiger Art und Weise ebenso direkt supplementieren bzw. angereicherte Lebensmittel konsumieren, sondern dies indirekt sogar ständig tun, weil die Nutztiere, deren Fleisch sie essen, ebenfalls im Regelfall Supplemente erhalten haben (Hierauf haben uns in einem anderen Kontext die Betreiber der Seite zur bio-veganen Landwirtschaft in einem Kommentar hingewiesen).
Die abschließenden Äußerungen von Frau Dr. Ambrosius machen endgültig deutlich, dass hier keine unabhängige Expertin spricht, sondern ein Mensch, der der veganen Lebensweise und den Menschen, die vegan leben, mit Vorurteilen begegnet. Denn Frau Dr. Ambrosius erklärt sogar ihr eigenes subjektives Spaß-Empfinden ernsthaft zum Maßstab. Sie meint, ihre Annahme, eine vegane Ernährung mache keinen Spaß, wäre ein relevantes Argument gegen eine vegane Ernährung. Spätestens hier wird klar, dass Frau Dr Ambrosius nicht weiß, wovon sie spricht und offenbar weder Kontakt zu Menschen unterhält, die vegan leben, noch über die Bereitschaft verfügt, die Erlebnisweisen dieser Menschen kennen zu lernen. Wäre es anders, würde Frau Dr. Ambrosius wissen, dass Veganer im Regelfall ihre Ernährungsform nicht als Kasteiung erleben, sondern einen positiven emotionalen Bezug zum Essen aufweisen, was übrigens auch durch wissenschaftliche Befunde gestützt wird (siehe hier).
Bedauerlich ist, dass FÜR SIE sich ausschließlich auf Frau Dr. Ambrosius verlässt und damit letztlich selbst Opfer von deren Vorurteilen wird. Vorzuwerfen ist aber auch FÜR SIE, es versäumt zu haben, auf die umfassend begründete Position der US-amerikanischen Vereinigung für Ernährung und Diäthetikhinzuweisen. Diese ist eindeutig: „Gut geplante vegane und andere Formen der vegetarischen Ernährung sind für alle Phasen des Lebenszyklus geeignet, einschließlich Schwangerschaft, Stillzeit, früher und späterer Kindheit und Adoleszenz“ (siehe hier). Diese Position stimmt auch die Vereinigung der US amerikanischen Kinderärzte zu (siehe hier). Ebenso wenig wird erwähnt die ganz neue Untersuchung des US-Landwirtschaftsministeriums durch Britten et. al. (2012) (siehe hier), aus der ebenfalls deutlich wird, dass eine vegane Lebensweise eine angemessene Nährstoffzufuhr sicher stellen kann.
Sicherlich ist für eine vegane Ernährung die Bereitschaft notwendig, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Dies ist aber weder besonders schwierig noch bedarf es überdurchschnittlicher Intelligenz, sondern es genügt, sich zu informieren und gegebenenfalls auch andere vegan und gesund lebende Menschen um Rat zu fragen. Während einer Schwangerschaft und in der Stillzeit bedeutet dies selbstverständlich ebenfalls, dies ärztlich begleiten zu lassen und Nährstoffdefizite zu vermeiden, was auch bei veganer Ernährung möglich ist.
Den Autoren der deutschen Veganer-Studie, deren Ergebnisse durch FÜR SIE in dieser Form falsch dargestellt werden, sei gedankt für ihre Bemühungen, Veganern zu helfen, auf mögliche Komplikationen ihrer Ernährungsform zu achten, wie dies bei allen Ernährungsformen notwendig und sinnvoll ist. Die vegane Ernährung ist insgesamt gesund, aber es kann zu Problemen kommen, die stark vom Enährungsverhalten des Einzelnen abhängen. Einfach nur Tierprodukte wegzulassen und sich ansonsten mit der Nahrung nicht zu befassen, ist sicher kontraindiziert.
Die deutsche Veganer Studie kann übrigens natürlich nur so viel sagen, was sie auch untersucht hat:
Untersucht wurde eine Gruppe von Veganern, die mehr oder weniger gut geplant vegan gelebt haben mögen, unter ihnen aber auch gemäß Studienangaben ein erheblicher Anteil an Personen, die keinerlei Vitamin B12 supplementieren! Wünschenswert gewesen wäre hier eine Splittung der Gruppe in diejenigen Veganer, die die Empfehlungen einer gut geplanten veganen Ernährung mit Supplementierung von Vitamin B12 erfüllt haben und denjenigen, die sie nicht erfüllt haben. Denn so hätte die Studie nicht nur einen Querschnitt der Nährstoffversorgung einer individuellen Stichprobe von Veganern untersucht, sondern könnte auch etwas über das Potential einer gut geplanten veganen Ernährung aussagen können, was sie in der jetzigen Form leider nicht tun kann, da hierfür die vorgenommenen Auswertungen nicht genügen.
Dennoch können Veganer aus dieser Studie lernen, wobei die beiden Verhaltensimplikationen insbesondere sind, Vitamin B12 zu supplementieren und ebenfalls auf die Eisenversorgung zu achten.
Der Artikel der FÜR SIE mit dem Titel „Die Vegan-Lüge“ fällt demgegenüber auf FÜR SIE selbst zurück. Denn was FÜR SIE in diesem Artikel darstellt, ist nicht die Wahrheit und keine konstruktive Auseinandersetzung, sondern es ist eine Lüge!
Quellen:
bsp]Britten, P.,Cleveland, L.E., Koegel, K. L., Kuczynski, K. J., [&] Nickols-Richardson, S. M. (2012) Updated US Department of Agriculture Food Patterns Meet Goals of the 2010 Dietary Guidelines. Journal of theAcademyofNutritionand Dietetics, 112: 1648-1655
Fontana, L., Meyer, T.E., Klein, S., [&] Holloszy, J.O. (2007) Long-term low-calorie low-protein vegan diet and endurance exercise are associated with low cardiometabolic risk. Rejuvenation Research, 10: 225-34.
Ho-Pham, L.T., Vu, B.Q., Lai, T.Q.,Nguyen,N.D., [&] Nguyen, T.V. (20129). Vegetarianism, bone loss, fracture and vitamin D: a longitudinal study in Asian vegans and non-vegans. European Journal Of Clinical Nutrition, 66: 75-82.
Mainous, A.G., [&] Diaz, V.A. (2009) Relation of serum ferritin level to cardiovascular fitness among young men. The American Journal Of Cardiology, 103: 115-8.
Oshaug A., Bugge, K.H., Bjønnes, C.H., Borch-Iohnsen, B., [&] Neslein, I.L. (1995) Associations between serum ferritin and cardiovascular risk factors in healthy young men. A cross sectional study. European Journal Of Clinical Nutrition, 49: 430-8.
Ströhle, A., Waldmann, A.Koschizke, J.,Leitzmann, C., [&]Hahn, A. (2011) Diet-dependent net endogenous acid load of vegan diets in relation to food groups and bone health-related nutrients: results from the German Vegan Study. Annals Of Nutrition [&] Metabolism, 59: 117-26.
Sung, K.C., Kang, J.H., [&] Shin, H.S. (2007). Relationship of cardiovascular risk factors and serum ferritin with C-reactive protein. Archives Of Medical Research, 38: 121-5
Waldmann A, Koschizke, J.W., Leitzmann, C., [&]Hahn, A. (2003) Dietary intakes and lifestyle factors of a vegan population in Germany: results from the German Vegan Study. European Journal of Clinical Nutrition, Vol. 57,947-55.
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8.
Waldmann, A., Koschizke, J.W., Leitzmann, C., [&] Hahn, A. (2004 b) Homocysteine and cobalamin status in German vegans. Public Health Nutrition, 7: 467-72.
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