Vegan ist das Gegenteil von extrem
„Vegan ist zu extrem“, dies ist eine häufige Ansicht von Fleischessern, selbst von solchen, die der veganen Ernährung durchaus aufgeschlossen gegenüber sind. In einer Umfrage von vegan.eu und Gleichklang.de äußerten immerhin 43,4% der befragten Fleischesser, dass die Extremität der veganen Lebensweise der Grund dafür sei, dass sie selbst nicht vegan leben würden.
Extrem ist ein Wort, welches in aller Regel negativ besetzt ist. Extremismus heißt, die Maßstäbe zu verlieren und die eigenen Vorstellungen mit allen Mitteln durchzusetzen, gegebenenfalls auch mit Gewalt. Die Assoziation von vegan und extrem ist somit für die Verbreitung der veganen Lebensweise schädlich. Sie ist aber nicht nur schädlich, sondern sie ist darüber hinaus auch falsch:
Extreme Handlungen sind Handlungen, die Grenzen überschreiten, sie wirken oft schockierend und sie führen zu Konsequenzen, die häufig nicht mehr umkehrbar, mindestens aber beeinträchtigend sind. Eine extreme Methode, die Überbevölkerung zu reduzieren, wäre beispielsweise, Menschen zu ermorden. Wer, der über Mitgefühl und Empathie verfügt, würde eine solche Maßnahme befürworten? Moderat wäre es hingegen, durch Aufklärung und Verteilung von Verhütungsmitteln die Kinderanzahl zu reduzieren.
Eine extreme Form der Bestrafung ist die Todesstrafe. Überhaupt wird die Tötung eines Menschen als extrem wahrgenommen. Jedenfalls dürfte es unstreitig sein, dass eine Gefängnisstrafe oder eine Geldstrafe als weitaus weniger extrem bewertet werden als die Todesstrafe. Die Tötung eines Menschen ist so extrem, weil sie unumkehrbar und endgültig ist, aber auch weil sie ein Akt der Gewalt ist, der bei den Betroffenen typischerweise Abwehr, Widerstand, Angst und Verzweiflung auslöst. Es muss Zwang angewandt werden, um einen Menschen zu töten.
Was hat all dies mit vegan zu tun? Wieso ist vegan das Gegenteil von extrem?
Der Veganismus plädiert für eine Welt, in der Tötungshandlungen zur Ernährung oder Bekleidung unterbleiben. Die Ernährung soll auf der Basis pflanzlicher Produkte stattfinden. Die Bekleidung kann in ihrer veganen Ausformung auf pflanzliche und synthetische Produkte zurückgreifen.
Tiere und Pflanzen sind Lebewesen, aber die Leidensfähigkeit und die Schmerzempfindlichkeit von Tieren ist wissenschaftlich belegt. Sie ist mit dem Menschen vergleichbar. Die Tötung eines Tieres geht mit nahezu identischen Handlungen und Wahrnehmungseindrücken einher wie die Tötung eines Menschen. Auch Tiere versuchen, der Tötung zu entkommen. Würden in Schlachthöfen Menschen geschlachtet, der Anblick und der Geruch wären fast identisch. Eine Pflanze mit allen Wurzeln aus dem Boden zu reißen und sie zu essen, beendet ihr Leben. Aber der Akt des Herausreißens einer Pflanze ist trotz seiner Unumkehrbarkeit bei weitem weniger extrem als die Tötung und das Ausnehmen eines Tieres, weil letzterer Akt mit mehr Gewalt, Angst, Schmerzen verbunden ist und der Widerstand erst gebrochen werden muss.
Betäubungsmittel mögen die Extremität des Tötungsaktes senken, aber sie sind nicht immer wirksam, sondern fehlbetäubte Tiere werden einen äußerst schmerzvollen Tod sterben, solange wir Tiere töten, um sie zu essen. Auch die Betäubung an sich ist zudem mit Leid verbunden, die Co2 Betäubung beispielsweise mit Atemnot.
Die vegane Perspektive möchte die Extremität der menschliche Gesellschaft senken, indem sie an die Stelle der extremen Praktik, Tiere zu töten, um sie zu essen, die Praktik der pflanzenbasierten Ernährung stellt. Damit senkt sie gleichzeitig die extreme Vernutzung der natürlichen Ressourcen unseres Planeten und reduziert das Ausmaß der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Denn 2/3 der heute landwirtschaftlich genutzten Flächen dienen der Nutztierhaltung.
Indem der Veganismus die Tötung von Tieren für die Nahrungsmittel- und Kleidungsproduktion beenden möchte, will er Berufe und Hobbys abschaffen, die extrem sind, weil sie der Tötung dienen. Darüber hinaus sollen die Menschen in einer veganen Gesellschaft aber auch untereinander friedlicher sein. Die Gewalt- und Tötungsschwelle wird heraufgesetzt. Wer lernt, Extremhandlungen, wie die Tötung von Tieren zu unterlassen, wird ebenso lernen, auf Gewalt gegen Menschen zu verzichten. Sicherlich ist es kein Zufall, dass fast alle Serienmörder und Sadisten zunächst Tiere quälten bevor sie zum Menschen übergingen.
Wer sagt, vegan sei zu extrem, übersieht die Extremheit der gegenwärtigen Gesellschaft, die gänzlich auf die Nutzung von Tieren ausgerichtet ist und in der sich gleichzeitig Menschen durch grassierende Kriege, Vernichtung und Verfolgung unermessliches Leid zufügen. Extremismus kennzeichnet nicht die vegane Lebensweise, sondern ist notwendiger, wenn auch aufgrund unserer Fähigkeit zur Ausblendung oft unerkannter Teil der fleischessenden Gesellschaft.
Veganismus ist die menschenwürdige Antwort auf Fleischkonsum und Nutztierhaltung, die uns Menschen dazu verhelfen will und kann, Gewalt, Tötung und Vernichtung hinter uns zu lassen. Veganismus steht insofern für die Befreiung des Menschen von der eigenen Gewalt und der Befreiung der Tiere von der Gewalt des Menschen.
Hilflos in Anbetracht der Überzeugungskraft der Argumente wird dem Veganismus oft Weltverbesserung vorgeworfen. Aber ist es nicht Ausdruck von Extremismus, das Schlechte in der Welt zu akzeptieren und die Welt so gewalttätig halten zu wollen wie sie es heute ist?
Durchsetzen will der Veganismus sich nicht mit Bomben und Raketen, sondern durch die Auswahl der Lebensmittel auf unseren Tellern. Ist ein moderaterer Ansatz zur Weltverbesserung vorstellbar?