Landwirtschaftsminister Schmidt verdammt vegane Ernährung
Nachdem die vegane Ernährung lange Zeit ein überwiegend positives gesellschaftliches Echo fand, sind nun die Gegenkräfte zunehmend dabei, sich zu formieren. Zuletzt warnte Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) vor einer veganen Lebensweise in der “Bild” (wir setzen aber den Link zum Welt-Artikel). Die vegane Ernährung sei einseitig und könne bei Kindern und Jugendlichen zu einer gefährlichen Mangelernährung führen. So bestehe die Gefahr schwerer Vitamin-B12-Mangelerscheinungen, die bis hin zu erheblichen Schäden führen könnten. Er sei im Übrigen ein absoluter Gegner von Ernährungsverboten und Essens-Ideologien – jeder solle essen, was ihn glücklich mache und ihm schmecke.
Dass er mit seinen Äußerungen freilich selbst eine Ernährungsideologie vertritt, scheint Minister Schmidt, der als Landwirtschaftsminister für die Verwaltung und Förderung der tierquälerischen und umweltschädigenden Massentierhaltung steht, nicht bemerkt zu haben. Christian Schmidt tritt tatsächlich öffentlich für eine Ernährung ein, die ihre ökologischen, sozialen und tierschutzbezogenen Konsequenzen unberücksichtigt lässt. Er steht politisch für eine Ernährungsweise, die durch die massenhafte Verfütterung von Soja und Getreide an Nutztiere den Welthunger fördert, die Umwelt ruiniert und unermessliches Leid über Tiere bringt. Dabei verwechselt er den oftmals suchthaften Konsum von Tierprodukten mit individuellem Glück – als ob Veganer unglücklich wären.
Die Gegnerschaft des stramm konservativen CSU-Politikers zur veganen Ernährung ist nicht erstaunlich. Der Veganismus steht für eine grundlegende Hinterfragung traditioneller Ernährungsvorstellungen und Werte, die eng mit konservativer Ideologie verbunden sind. Gleichzeitig zeigen Studien, dass erhöhter Fleischkonsum mit rechtsgerichteter Ideologie und Vorurteilen einhergeht. Entsprechend verglichen CDU-Politiker, die als Vertreter einer konservativen Partei rechtsgerichteter Ideologie nahe stehen (ohne bereits Rechtsradikale zu sein), in der Vergangenheit den Veggie-Tag mit dem Nationalsozialismus oder wandten sich gegen fleischkritische Informationen in der schulischen Bildung. Der Versuch ausgerechnet von rechts, dem politischem Gegner Faschismus zu unterstellen, ist dabei eine durchaus nicht ungewöhnliche Masche. Außerdem zeigte übrigens auch eine neuerliche Umfrage von vegan.eu, dass die überwältigende Mehrheit vegan lebender Menschen rechtsgerichtete Positionen ablehnen und sich im Gegenteil im Rahmen der emanziptorischen Ausrichtung des Veganismus gegen alle Unterdrückungssysteme wendet, egal ob sie als Nutztierhaltung, Fremden- und Flüchtlingsfeindschaft, Homophobie oder Sexismus auftreten.
Es ist insofern nicht erstaunlich, dass sich konservativ-rechtsgerichtete Positionen gegen die vegane Lebensweise wenden. Jetzt aber hat erstmals auch ein Spitzenpolitiker und für das Themengebiet Ernährung zuständiger Minister dies deutlich gemacht und zum Kampf gegen die veganen Ernährung aufgerufen. Angst vor Wählerstimmenverlust muss er nicht haben. Denn Veganer wählen nahezu niemals konservative Parteien und sind zudem zahlenmäßig noch zu wenige, als dass sie von der Politik als eine Lobbygruppe entdeckt werden würden.
Die Argumentation des Ministers ist sachlich falsch. Die vegane Ernährung ist bei guter Planung für alle Alters- und Entwicklungsstufen des Menschen geeignet. Dies hat nach umfangreicher wissenschaftlicher Analyse die Academy of Nutriton and Diatetics als weltweit größte ernährungswissenschaftliche Vereinigigung festgestellt. Die von Minister Schmidt angesprochene Gefahr eines Vitamin B12-Mangels kann und muss durch die Supplementierung mit Vitamin B12 oder den Konsum angereicherter Lebensmittel ausgeglichen werden. Wer dies als Elternteil nicht tut, gefährdet in der Tat die Gesundheit seiner Kinder. Minister Schmidt hat aber nicht auf diesen einfachen Sachverhalt hingewiesen, sondern er hat die vegane Ernährung pauschal verdammt, womit er ohnehin grassierender Diskriminierung und Vorurteilen gegenüber veganen Familien weiteren Vorschub leistet. Zur veganen Erährung gehört die Sicherstellung der Vitamin B12 Versorgung notwendigerweise hinzu, wie es auch die Vegan Society seit Jahrzehnten postuliert. Wer dies noch nicht begriffen hat, bringt die vegane Ernährung in Verruf.
Minister Schmidt geht es aber offensichtlich nicht um Aufklärung oder sachliche Auseinandersetzung und schon gar nicht um Hilfestellung für vegan lebende Personen, sich gesund zu ernähren und entsprechend auch ihre Vitamin B12 Versorgung sicherzustellen. Vielmehr benutzt Christian Schmidt die vegane Ernährung als Mittel, um für seine intellektuell begrenzte konservative Weltsicht einzutreten, bei der Tiere vorwiegend auf dem Teller und Milch nicht in Kälber- sondern in Menschenmägen zu landen haben.
Dennoch lassen sich die Äußerungen von Christian Schmidt nicht einfach als unqualifizierter Zwischenruf eines Agrar-Lobbyisten abtun. Vielmehr scheint nach langer positiver Berichterstattung eine Tendenz zu vegankritischen Positionen in der Gesellschaft zuzunehmen. So wird dem Minister in den Medien durch den Ernährungsmediziner Berthold Koletzko sekundiert, der sich seit längerem kritisch mit der veganen Ernährung befasst und dabei seine öffentlichte Kritik wiederum nahezu ausschließlich auf einen möglichen Vitamin B12-Mangel fokussiert. Dabei lässt er es - ähnlich wie der Minister - unerwähnt, dass ein solcher Vitamin B12 Magel durch eine Supplementierung einfach vermeiden werden kann. Geschürt wird hierdurch ein Klima der Angst, welches Menschen offenbar von der Wahl einer veganen Ernährungsweise abhalten soll. Auch die durch Sarah Wiener erzeugte Kontroverse weist auf einen gesellschaftlichen Gegenprozess zum veganen Trend hin. Veganer müssen damit rechnen, dass die Luft wieder dünner wird und Vorurteile gegenüber der veganen Ernährung und insbesondere gegenüber veganen Familien zunehmen werden. Dies dürfte insbesondere dann der Fall sein, wenn die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) in ihrer aktuell erarbeiteten neuen Stellungnahme an ihrer negativen Bewertung der veganen Ernährung festhalten sollte, was mindestens für den Bereich der Ernährung während Schwangerschaft und Kindheit zu befürchten ist.
Artikel ergänzt am 27.12.2015