Traktat auf Spiegel-Online gegen die vegane Ernährung von Kindern

Traktat auf Spiegel-Online gegen die vegane Ernährung von Kindern

Bei Spiegel-Online ist soeben ein Artikel mit dem bezeichnenden Titel „Vegane Kleinkind-Ernährung? Nein, danke!“ erschienen. Verfasserin Juno Vai hält die vegane Kinderernährung für wahres Teufelswerk. Veganen Eltern wirft sie eine Gefährdung ihrer Kinder, aber auch Egoismus, Verschwendung und sogar Esoterik vor. Leser, die diesen Artikel ernst nehmen, werden wohl zu dem Schluss gelangen, dass vegane Eltern einen schweren Missbrauch ihrer Kinder betreiben. Die von der Verfasserin am Ende des Artikels empfohlene Zwangsberatung veganer Eltern dürfte durchaus noch die mildeste staatliche Reaktion sein, die einigen Lesern dieses Artikels in den Sinn kommen mag.

Spiegel-Online verfügt über eine millionenstarke Leserschaft. Grund genug, der Verfasserin Juna Vai auf vegan.eu zu antworten:

  • Juno Vai beklagt, dass in ihrem Umfeld fast alle veganen Eltern auch ihre Kinder vegan ernähren würden. Diese könnten sich naturgemäß dagegen nicht wehren. Wohl wahr. Aber ebenso gilt, dass fast alle fleischessenden Eltern ihre Kinder mit Fleisch ernähren. Durch die Ernährung von Kindern mit Fleisch und anderen Tierprodukten werden frühe Prozesse der Geschmackskonditionierung angestoßen, die zu einer lebenslangen Ausrichtung des Geschmacks auf Fleisch und andere Tierprodukte führen können. Tatsächlich prägen die frühen Geschmacks- und Ernährungserlebnisse maßgeblich, was Menschen später essen. Kinder werden damit für eine Ernährungsweise konditioniert, die nicht nur mit milliardenfachem Tierleid, sondern ebenfalls nach allen vorliegenden wissenschaftlichen Befunden mit massiver Umweltzerstörung verbunden ist. Vor Kurzem erst ist eine umfassenden wissenschaftliche Studie zu dem Ergebnis gelangt, dass nur eine vegane Ernährung eine nachhaltige Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung sicherstellen könne. Die Umstellung auf vegan bis zum Jahr 2050 könnte nach diesen wissenschaftlichen Befunden zudem 8 Millionen Menschenleben retten. Eltern, die ihre Kinder vegan ernähren, tragen dazu bei, dass dies Szenario Wirklichkeit wird.
  • Als abschreckendes Beispiel benennt Juno Vai den Fall einer 33-jährigen angeblichen Veganerin aus dem US-Bundesstaat Pennsylvania, die ihren elf Monate alten Sohn ausschließlich mit Nüssen und Trockenobst ernährt habe. Folgen gewesen seien Mangelernährung und Entwicklungsstörungen. Die Verfasserin bedient sich hier einer klassisch diffamierenden Beweisführung, wie sie typischerweise übrigens auch von rassistischen, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Traktaten verwandt wird. Was bitte hat die ausschließliche Ernährung eines Kleinkindes mit Nüssen und Trockenobst mit vegan zu tun? Was hat so ein Fall in einem Artikel über vegane Kinderernährung zu suchen? Es gab fleischessende Eltern, die ihre Kinder verhungern ließen. Ist dies nun allgemein Fleischessern anzulasten? Übrigens zeigen wissenschaftliche Befunde tatsächlich, dass die Motivbasis für die Diskriminierung von Veganern oft die gleiche ist wie die Motivbasis für Rassendiskriminierung, Homophobie und Fremdenfeindlichkeit. Das Herausgreifen einzelner, mehr oder weniger korrekt dokumentierter Extrembeispiele ist ein beliebtes Stilmittel für die Verbreitung von Vorurteilen. Der zweite durch die Verfasserin geschilderte Fall eines Jungens, dessen Mutter in der Schwangerschaft nicht auf Versorgung mit Vitamin B12 geachtet habe, ist ebenfalls in diese Kategorie einzuordnen. Denn die Autorin lässt es gänzlich unerwähnt, dass diesen beiden Extremfällen tausende gesunde vegane Kinder gegenüberstehen, die weltweit täglich geboren werden. Eine umfassende Auswertung aller vorliegenden Studien ist zu dem Ergebnis gelangt, dass vegane Schwangerschaften nicht riskanter sind als nicht-vegane Schwangerschaften. Eine andere Studiegelangte zu dem Ergebnis, dass Neugeborene veganer Mütter das höchste Geburtsgewicht aufwiesen. Bei vegetarischer und omnivorer Mischkost mit Fleisch traten häufiger zu geringe Geburtsgewichte auf. Außerdem stillten vegane Mütter ihre Kinder länger, was den Empfehlungen entspreche. In einer Umfrage von vegan.eu zeigte sich, dass die große Mehrheit vegan lebender Menschen bereits Erfahrungen mit Diskriminierung und Vorurteilen gemacht hat, wobei der Vorwurf des Kindermissbrauchs als besonders bitter erlebt wird. Auch wissenschaftliche Studien belegen, dass Veganer oft Opfer von Aggressionen werden. Der Artikel von Juno Vai ist dazu geeignet, solche Vorurteile weiter zu verbreiten und veganen Eltern und ihren Kindern das Leben schwer zu machen.
  • Als einzige Referenz für ihre vegankritischen Ansichten verweist Juno Vai auf die Stellungnahme der Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Diese umstrittene Stellungnahme, die aber immerhin erstmals einräumte, dass eine gesunde vegane Ernährung von Kindern möglich sei, wird von der Verfasserin noch einmal antivegan zugespitzt. In extremer Verkürzung der tatsächlichen Stellungnahme reduziert sie diese auf die Aussage, dass eine vegane Ernährung von Stillenden das Risiko schwerer neurologischer Störungen und Entwicklungsverzögerungen für das Kind bedinge. Das Fazit vieler Ökotrophologen und Ärzte sei: „Kleinkinder und Kinder sollten nicht vegan ernährt werden.“ Mit keinem Wort geht die Autorin auf die gerade erst veröffentlichte aktualisierte Stellungnahme der Academy of Nutrition and Dietetics ein, die sich genau diesen Fragen widmet. Diese Stellungnahme des weltweit größten und einflussreichsten Fachverbandes von Ernährungswissenschaftlern bestätigt eindrucksvoll nicht nur die Machbarkeit, sondern auch den Gesundheitswert der veganen Ernährung von Kindern. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass jetzt vegan ernährte Kinder im Erwachsenenalter wahrscheinlich ein geringeres Risiko für Übergewicht, Herzerkrankungen, Diabetes und Krebserkrankungen haben werden.
  • Der Autorin ist es nach ihren eigenen Worten persönlich völlig wurscht, was ein erwachsener Mensch zu sich nehme und aus welchen Gründen er es tue. Der Verfasserin mag das milliardenfache Tierleid und die Zerstörung unserer Umwelt durch die Nutztierhaltung in der Tat völlig wurscht sein. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls ihr Artikel. Allerdings scheint die Autorin Anteilnahme, Empathie, Umweltschutz und soziale Sensitivität mit einer „fanatischen Ideologie“ und einer „Pseudo-Religion“ zu verwechseln. Beides sei nämlich der Veganismus. Warum eigentlich? Nur weil Veganer sich von Pflanzen ernähren und keine Tiere töten wollen? Dass in Wirklichkeit sie selbst ein zementiertes und rigides antiveganes Ernährungskonzept vertritt, scheint der Verfasserin zu entgehen.
  • Juno Vai meint, vegane Eltern seien egoistisch. Offenbar liegt hier eine Verkehrung des typischen Sinnes von Egoismus vor. Veganer möchten die negativen Umweltfolgen der menschlichen Ernährung minimieren, zu einer gerechten Verteilung weltweiter Ressourcen beitragen und Tierleid beenden. Zahlreiche Studien zeigen, dass die Umwelt- und Klimabilanz der veganen Ernährung bei weitem besser ist als die der omnivoren und auch der vegetarischen Ernährung ist. Dies kommt künftigen Generationen zu Gute. Zudem trägt der Konsum von Tierprodukten zu einer Verteuerung der pflanzlichen Lebensmitteln in den Ländern der dritten Welt bei aufgrund der durch die Nutztierhaltung bedingten hohen Nachfrage nach Getreide und Soja, welches den Tieren verfüttert wird. Es erschließt sich aus der Argumentation von Juno Vai nicht, wieso ausgerechnet vegane Eltern Egoisten sein sollten, obwohl gerade vegane Eltern sich und ihre Kinder nicht auf Kosten der Umwelt, der Tiere und der Menschen in der dritten Welt ernähren wollen. Offenbar ist die Verfasserin über die Motive für die vegane Ernährung nicht informiert. So zeigte eine Umfrage von vegan.eu unter 1031 vegan lebenden Menschen, dass bei vegan lebenden Menschen die altruistischen Motive, wie Tierschutz und Umweltschutz, dominieren. Selbstbezogene Motive, wie Gesundheit, Fitness und Gewichtsreduktion, spielen nur eine sekundäre Rolle. Natürlich wollen auch vegane Eltern ihre Kinder gesund ernähren. Genau dies ist durch eine vegane Ernährung auch ohne weiteres möglich.
  • Die Verfasserin schreibt: „Solange ich nicht weiß, was eine bestimmte Substanz im Körper meines Kindes anrichtet, sollte ich sie weglassen.“ Hat sich die Verfasserin aber wirklich über die möglichen Folgen von Fleisch und Tierproduktkonsum für Kinder informiert und ist sie hier zu sicheren positiven Schlussfolgerungen gelangt? Im Artikel gibt sie hierfür keinerlei Quellen an. Offensichtlich ignoriert sie aber die Ansicht der Academy of Nutrition and Dietetics, gemäß der vegane Kinder wahrscheinlich später ein geringeres Risiko von Übergewicht, Herzerkrankungen, Diabetes und Krebs haben werden.
  • Die Verfasserin schlägt Vertrauen in das Kind bei der Lebensmittelauswahl als Alternative zu einer veganen Ernährung vor. Sie übersieht, dass Kinder Ernährung erst über ihre Eltern oder andere Bezugspersonen erlernen. „Wenn ein Kind auf irgendein Lebensmittel besonders große Lust habe, werde das seine Gründe haben“, meint die Verfasserin. Trifft dies nach Ansicht der Autorin nur auf Fleisch und Milch zu, oder auch auf Cola, Zucker und Fastfood? In Wirklichkeit benötigen Kinder die Anleitung der Eltern, um zu einer gesunden sowie ökologisch und ethisch verantwortbaren Ernährung zu gelangen. Eben diese Anleitung geben vegane Eltern ihren Kindern, indem sie sie vegan ernähren. Gegenüber fleischessenden Kindern haben diese Kinder einen entscheidenden Startvorteil. Sie werden keine Kämpfe mit sich selbst auszutragen haben, wenn sie sich ökologisch und ethisch verantwortbar und gesund ernähren wollen.
  • Die Verfasserin selbst redet in ihrem Artikel ausführlich über Ernährung und Veganer. Gleichzeitig wirft sie Veganern vor, zu viel über Ernährung zu reden. Es gehe Veganern nur um Aufmerksamkeit, für die der Aufwand, das ständige Reden übers Essen, die soziale Aufwertung durch Abgrenzung sorgten. Es sei dahingestellt, ob es womöglich der Verfasserin selbst um Aufmerksamkeit geht. Sachlage ist, dass die Verfasserin sich hier abschätzend über eine ganze Gruppe von Menschen äußert, ohne sich auch nur die geringste Mühe gemacht zu haben, den mittlerweile doch beträchtlichen Forschungsstand zu den Motiven für die vegane Ernährungsweise auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Offenbar entspringt die Meinung von Juno Vai ihren eigenen Vorurteilen. Das tatsächliche Erleben der Menschen, über die sie schreibt, scheint für die Verfasserin nicht zu zählen. Erneut zeigt sich hier ein Argumentationsstil, wie er vor allem von denjenigen verwandt wird, denen es nicht um Information und die Ergründung der Wirklichkeit, sondern um die Verbreitung von Vorurteilen und Zerrbildern geht. Veganer sind für Juno Vai tiefgreifend egoistische Menschen, die für den Erhalt von Aufmerksamkeit sogar die Gefährdung ihrer eigenen Kinder in Kauf nehmen. So wie andere über Ausländer, Schwarze, Juden oder Flüchtlinge schreiben, schreibt Juno Vai über Veganer.
  • Bei Veganern sieht die Verfasserin sogar das „Esoterische“ am Wirken. Begründen tut sie dies mit einem offenbar extra hierfür durch sie selbst erfundenen Zitat: „Milch ist böse“. Tatsächlich lehnen Veganer den Konsum von Tiermilch nicht ab, weil Milch böse sei, sondern weil die Milchproduktion untrennbar mit Tierleid und Tiertötung verbunden ist. Damit die Verfasserin ihren Kindern Milch und Käse vorsetzen kann, worauf sie offenbar sehr stolz ist, müssen Kühe regelmäßig geschwängert werden. Nach der Geburt werden ihnen bald ihre Kinder weggenommen, wobei die männlichen Kälber geschlachtet werden, während die weibliche Kälbchen zu neuen Milchkühen gemacht werden. Dies ist keine Esoterik, sondern es sind Tatsachen, vor denen die Verfasserin allerdings die Augen verschließt. Im Übrigen gibt es vegane und fleischessende Esoteriker. Es gibt auch Veganer, deren Lieblingsfarbe rot ist, während andere blau vorziehen. In ihrem stereotypen Bild von Veganern, scheint der Autorin dies entgangen zu sein.
  • Obwohl vegan bei weitem die nachhaltigste Ernährungsweise ist, wirft Juno Vai Veganern sogar Verschwendung und Dekadenz vor. Dass für ein Kilogramm Fleisch oder einen Liter Milch mehrere Kilogramm wertvoller Pflanzenkost verschwendet werden, zieht sie dabei nicht in Betracht. Sie scheint sich jedenfalls nicht daran zu stören, dass mehr als eine Milliarde Menschen auf dieser Welt hungern, während genug pflanzliches Futter für ein Vielfaches dieser Anzahl an Nutztieren zur Verfügung gestellt wird. In Wirklichkeit verschwenden nicht Veganer Lebensmittel, sondern Menschen, wie Juno Vai, verschwenden durch ihren Konsum von Tierprodukten pflanzliche Lebensmittel, die den Tieren gefüttert werden, die aber vollauf genügen würden, um die gesamte Menschheit problemlos zu ernähren. Die Verfasserin beklagt die hungernden Kinder in Afrika, aber ihren Appetit für Fleisch und Milch will sie für diese offensichtlich nicht opfern. Stattdessen verkehrt sie die Fakten in ihr Gegenteil und wendet sich gegen diejenigen, die für eine nachhaltige, sozial und ökologisch verträgliche Ernährung einstehen.
  • Entschieden wendet sich Juno Vai gegen jede Supplementierung. „Wieso sollte man seinem Kind überhaupt Nahrungsergänzungsmittel zuführen, wenn es die Nährstoffe auch ganz bequem über das Essen aufnehmen kann?“ Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt übrigens während der Schwangerschaft obligatorisch die Einnahme von 400 µg synthetischer Folsäure pro Tag, um Neuralrohrdefekten vorzubeugen. Veganer nehmen sehr viel mehr Folsäure auf als Fleischesser und vermutlich könnten Veganerinnen daher auf eine Supplementierung mit Folsäure in der Schwangerschaft verzichten. Allerdings müssen Veganer Vitamin B12 supplementieren. Die Sachlage, dass Veganer spezifisch auf Versorgung mit Vitamin B12 achten müssen, spricht nicht gegen die vegane Ernährung und kann sicherlich nicht die enormen Vorteile außer Kraft setzen, die mit einer veganen Ernährung verbunden sind. Die Argumentation von Juno Vai ist hier nicht wissenschaftlich, sondern esoterisch, auch wenn sie Esoterik gerne als eine Eigenart des Veganismus darstellen möchte. Außerdem vergisst die Verfasserin, dass Nutztieren enorme Mengen an Zusatzstoffen verfüttert werden, auch in der Bio-Tierhaltung sind zahlreiche Zusatzsstoffe, u. a. Vitamine, erlaubt.
  • Am Ende ihres Artikels stellt Juno Vai die Frage, was zu tun sei, „wenn Eltern manisch an gefährlichen Ess-Gewohnheiten festhalten, auf Kosten der eigenen Kinder?“ Die Frage ist diffamierend, weil sie sich jenseits aller wissenschaftlicher Evidenz vorwiegend auf Veganer bezieht. Politiker würden bereits eine verpflichtende Ernährungsberatung für Schwangere fordern. Tatsächlich fordern rechtspopulistische Politiker bereits weitaus mehr und plädieren für eine strafrechtliche Verfolgung veganer Eltern. Zwischen dem denunziatorischem Artikel von Juno Vai und diesen rechtspopulistischen Forderungen gibt es nur einen graduellen Unters
    hied. Die Verfasserin meint von einer Zwangsberatung würden besonders zwei Gruppen profitieren: „Radikale Veganer - und die nachweislich nährstofffrei lebenden Junk-Food-Fleischfresser.“ Getreu nach dem Motto, den Splitter im Auge des anderen zu sehen, aber nicht den Balken im eigenen Auge, hat die Verfasserin ausgerechnet sich selbst in der Auflistung vergessen. Tatsächlich könnte eine Beratung nach den wissenschaftlichen Leitlinien der Academy of Nutrition und Dietetics der Verfasserin womöglich helfen, ihre Vorurteile gegenüber der veganen Ernährung und gegenüber vegan lebenden Menschen zu überwinden.

Verfasser: Guido F. Gebauer

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