Abschuss auf der Weide: Eine tierfreundliche Alternative zum Schlachthof?
Seit Jahren schon erschießen einzelne Landwirte ihre Tiere direkt auf der Weide, um ihnen den Transport und den Schrecken des Schlachthofes zu ersparen, unter ihnen recht viele Bio-Landwirte. Aus tierrechtlicher und veganer Sichtweise ist bei dieser Argumentation zu begrüßen, dass wenigstens eingestanden wird, dass in der Tat Transport und Schlachtung für die Tiere mit großem Leid verbunden sind. Dies ist nicht selbstverständlich, denn allzu oft wird gegenüber den Verbrauchern nach wie vor, auch von den Bio-Verbänden, die Marketing-Illusion der glücklichen Tiere verbreitet.
Derzeit ist es nur eine kleine Minderheit der Landwirte, die auf den Weiden schießen, und eine sogar nur verschwindend kleine Minderheit der Tiere, die auf den Weiden erschossen werden. Die überwältigende Mehrheit - ob bio oder konventionell- kommt demgegenüber nach wie vor an Transport und Schlachthof nicht vorbei.
Nun hat auch der Spiegel das Thema des Abschusses auf der Weide entdeckt und bringt in seiner aktuellen Ausgabe einen Artikel unter dem Titel „Kugelschuss auf der Weide – Alternative zum Schlachthof. Landwirte dürfen ihre Rinder vom Hochsitz aus erschießen. Beschert dies den Tieren einen stressfreien Tod?“
Geschildert wird im Spiegel-Artikel die Tötung von Galloway-Rindernauf einem landwirtschaftlichen Hof durch Erschießen und unter wissenschaftlicher tiermedizinischer Beobachtung.
Das Resümee ist positiv:
Aus tierärztlicher Sichtweise scheint gemäß des Artikels diese Tötungsart in der Tat zu einem stressarmen Tod führen zu können. So sei es jedenfalls bei 40 Tieren auf dem Hof beobachtet worden.
Gibt es also doch eine Möglichkeit, Tiere nicht leiden zu lassen und dennoch, nicht vegan zu leben, sondern weiterhin Fleisch zu verzehren?
Die Antwort ist ein klares „Nein“ und zwar aus folgenden Gründen:
-Das leidfreie Sterben durch Erschießen ist an einen sicheren und fachgerechten Schuss gebunden. Kommt es demgegenüber zu auch kleinen Ungenauigkeiten, kann ein in hohem Ausmaß leidbesetzter Tod resultieren, was die das Projekt untersuchenden Tierärzte ebenfalls bestätigen und von anderen Höfen berichten.
- Zwar lässt sich Schießen trainieren, aber einer der best gesichertsten Befunde im Sicherheitsbereich ist es, dass die menschlichen Fehler typischerweise bei weitem technisches Versagen überwiegen. So sind selbst bei Flugzeugunglücken viel öfter die bestens trainierten Menschen im Sinne von Pilotenfehler verantwortlich als die Technik. Aber auch bei Tierschlachtungen ist bekannt, dass apparative Tötungsprozeduren eine geringere Fehler- und damit Leidrate aufweisen als manuell durch den Menschen gesteuerte Schlachtapparaturen.
-Wenn die Tötung durch Abschuss ausgedehnt werden soll, müsste eine sehr große Anzahl an Personen im Schießen trainiert werden, wobei in Abhängigkeit von der Tierarzt unterschiedliche Anforderungen zu erfüllen sind. Zwischen Menschen, auch den best trainierten, bestehen immer individuelle Leistungsunterschiede, so dass es Landwirte geben wird, die mit höherer Präzision und Landwirte, die mit geringerer Präzision den Abschuss bewerkstelligen werden.
-Bekannt ist auch, dass Fehler umso mehr zunehmen, je mehr ein Setting unkontrolliert ist. Der direkte Abschuss unter tierärztlicher Betreuung durch immer dieselbe Person erlaubt in keiner Weise einen Schluss auf eine Situation, wo ohne stringente Kontrolle bei jedem einzelnen Abschuss und bei verschiedenen Schützen Tiere auf der Weide erschossen werden würden.
-Aufgrund der vielfältig möglichen Fehler und der Sachlage, dass solche unvermeidbar auftreten, wenn Menschen handeln, ist es gut möglich, dass die allgemeine Praktizierung eines Abschusses auf der Weide am Ende durch Fehlschüsse sogar im Durchschnitt zu mehr Leid führen würde als es die gegenwärtige leidbesetzte Schlachtung tut.
Wozu dient das Ganze?
Die Forderung und Praxis eines Abschusses von Tieren auf der Weide, um Leid zu mindern, ist aus tierrechtlicher und veganer Sichtweise letztlich als ein Versuch zu bewerten,den eigentlich aus ethischen Gründen nicht zu rechtfertigenden Fleischkonsum weiterhin aufrechterhalten zu können.
Genährt wird durch den Abschuss auf der Weide als scheinbar tierfreundliche Praxis die Illusion einer stressfreien Tötung, die in Wirklichkeit vielleicht das eine oder andere mal in einem Einzelfall, niemals aber als allgemeine Lösung möglich sein wird.
Im übrigen wäre die mit einer Abschuss-Praxis ebenfalls notwendigerweise verbundene weitere Verbreitung von Schusswaffen ebenfalls kritisch zu bewerten.
Fleisch wächst nicht auf Bäumen. Ohne Tieren Leid zuzufügen, ist es nicht möglich, sich von ihren Körpern zu ernähren. Diese Sachlage soll offenbar durch den Ruf nach dem Abschuss auf der Weide, dem gerade die biologische Landwirtschaft viel Sympathie entgegen bringt, aus dem Bewusstsein der Menschen entfernt werden.
Der Abschuss auf der Weide ist in Wirklichkeit ein brutaler und blutiger Akt, der im Gewand von Mitleid und Tierliebe auftritt, um den Blick zu verstellen auf die tatsächlich zu beseitigenden Missstände, nämlich Tierausbeutung, Ressourcenvergeudung und Umweltzerstörung, die mit der Nutztierhaltung notwendigerweise verbunden sind. Abschuss auf der Weide ist weder eine Lösung und noch nicht einmal eine Verbesserung, sondern nur ein weiterer Versuch der Tierausbeutungsindustrie, für eine gesellschaftliche Akzeptanz ihres im wahrsten Sinne des Wortes Blut vergießenden Gewerbes zu sorgen.
Positiv bleibt auch aus veganer und tierrechtlicher Sichtweise festzuhalten, dass es sich langsam offenbar herumspricht, dass Produktion und Konsum von Fleisch, wie sie derzeit stattfinden, moralisch nicht vertretbar sind. Sonst würde die Diskussion nicht geführt werden und der Spiegel würde nicht berichten. Bedauerlich ist es allerdings, dass weiterhin nach Scheinlösungen gesucht wird, anstatt die tatsächliche Lösung der Umwelt- und Tierschutzproblematik des Fleischkonsums aufzugreifen, die mit dem Veganismus eigentlich zum Greifen nahe liegt.
Nicht Abschuss von Tieren auf der Weide, sondern vegan zu leben, ist die Antwort auf die drängenden Fragen unserer Zeit, die den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt betreffen. Wir brauchen nicht darüber nachdenken, verstärkt Menschen an Schusswaffen zu trainieren, sondern wir sollten darüber nachdenken, unsere Lebensweise grundlegend hin zu einer pflanzenbasierten veganen Ernährung zu verändern. Schusswaffen sollten nicht weiter verbreitet, sondern weiter begrenzt werden.
Vegan zu leben, ist weitaus einfacher als die meisten Menschen denken. Wird eine vegane Lebensweise erst umgesetzt, wird sie typischerweise als eine individuelle Bereicherung des eigenen Lebens erlebt - gesundheitlich und moralisch.
Um die Möglichkeit und den Gewinn durch eine vegane Lebensweise noch bekannter zu machen, haben wir bei Vegan.eu eine Dauerreihe "Vegane Menschen und Projekte stellen sich vor" gestartet, in der Veganer und Veganerinnen über ihre Wege zur veganen Lebensweise und ihre Erfahrungen mit dem Veganismus berichten.
Wir freuen uns jederzeit über weitere Interessentinnen und Interessenten, die unsere Leser und Leserinnen teilhaben lassen möchten an ihren Erfahrungen als Veganer oder Veganerin und so gleichzeitig einen kleinen weiteren Beitrag für die Verbreitung des Veganismus als einer tierfreundlichen, menschengerechten und umweltfreundlichen Lebensweise leisten wollen.