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Grausamkeit gegen Tiere: Kein Grund für europäische Überlegenheitsgefühle

Grausamkeit gegen Tiere: Kein Grund für europäische Überlegenheitsgefühle

Als wir auf menschenrechte.eu einen Appell für die Teilnahme an einer Aktion zum Schutz eines Thailänder vor Folter durch die dort regierende Militärjunta veröffentlichten, erhielten wir auf Facebook hierzu folgende Reaktion einer Tierschützerin:

"Sorry, aber einen Teufel werde ich tun.Wir sahen Videos in denen Hunde aufs Schlimmste gequält wurden.
Auch besonder schlimm in Indonesien, wo die meisten dem Islam angehören.
Mit So einer Art Schweißbrenner in groß,wurden die Tiere bei lebendigem Leibe verbrannt!!Die Qual der Tiere, vergesse ich nie.Für Asiaten mache ich nicht einen Finger krumm! Ja, ich schere sie alle über einen Kamm.Sie ziehen den Schlangen auch die Haut bei lebendigem Tieren ab.Ich mag sie einfach nicht mehr!"

Dies ist nicht das erste Mal, dass wir von Seiten von Tierschützern und vegan lebenden Personen Argumente hörten, dass Mitglieder anderer Kulturen, Religionen und Länder besonders grausam gegenüber Tieren seien. Hinzuweisen ist in diesem Kontext auch auf die Instrumentalisierung des Tierschutzes durch Rechtsradikale, in Deutschland beispielsweise durch die NPD, die sich - angeblich aus Gründen des Tierschutzes - für ein Schächtverbot ausspricht.Immer wieder trifft man auch anderswo in Diskussionen auf Vorstellungen, dass Asiaten, Afrikaner, Araber oder religionsbezogen Muslime oder auch Juden sich besonders grausam gegenüber Tieren verhalten würden.

Gerade aus veganer Sichtweise ist es wichtig, sich mit diesen Vorstellungen auseinanderzusetzen und sie als nicht nur inhaltlich inkorrekt und stereotypisierend, sondern auch als unvereinbar mit dem veganen Streben nach einer soweit als möglich leidfreien Welt einzuordnen. Denn es handelt sich hier nicht um den Ausdruck eines berechtigten Tierschutzinteresses, sondern um den Ausdruck rassistischer und kultur-chauvenistischer Vorurteile, die unter Verweis auf Grausamkeiten gegenüber Tieren rationalisiert werden. Der Rationalisierungsprozess ist so effizient, dass die Betreffenden ihre eigenen Vorurteile und ihren Rassismus teilweise nicht mehr erkennen, sondern den Rassismus-Vorwurf sogar mitunter empört zurückweisen.

In einer Diskussion mit den Betreffenden wird typischerweise schnell deutlich, dass sie über ein nur äußerst schmales Wissen über die angegriffenen Kulturen, Religionen und Nationen verfügen und selbst ihr Wissen über den dortigen Umgang mit Tieren auf einzelne Grausamkeits-Aspekte beschränkt ist, ohne für sich Repräsentativität beanspruchen zu können. Im oben zitierten Fall unterscheidet die Schreiberin beispielsweise nicht zwischen Thailand und Indonesien und geht zudem offenbar irrtümlich davon aus, dass das buddhistisch geprägte Thailand ein muslimisches Land sei, womit nicht gesagt werden soll, dass ihre Generalisierung auf Indonesien oder Muslime gerechtfertigt wäre.

Ein weiterer Aspekt, der in Diskussionen mit den Betreffenden immer wieder erkennbar ist, ist eine im Hintergrund stehende Überzeugung über die moralische Überlegenheit der eigenen Kultur. Tatsächlich kann nur eine moralischer Überlegensheitsanspruch bezüglich der eigenen Kultur Äußerungen, wie die oben zitierte, begründen. Einer moralisch überlegenen europäische Kultur stehen demnach Barbaren gegenüber, die sich durch Gefühllosigkeit gegenüber Tieren oder gar durch sadistische Freude am Leid von Tieren kennzeichneten.

Die faktische Inkorrektheit einer solchen Position ist einfach und durch wenige beispielshafte Hinweise belegbar:

- Die heutige Form der industriellen Massentierhaltung mit allen ihren Folgewirkungen ist keine Erfindung aus dem asiatischen oder afrikanischen Raum, sondern sie stammt aus Europa und Nordamerika (USA).

- Das Zermusen von Hühnerküken ohne Betäubung ist eine Erfindung eben dieses Systems der Massentierhaltung.

- In den europäischen Ländern und in den USA verzehren die Menschen pro Kopf bei weitem mehr Fleisch als dies in den afrikanischen, asiatischen und arabisch geprägten Ländern der Fall ist. Je mehr Fleisch verzehrt wird, desto mehr Tierleid.

- 70% der weltweiten Vegetarier leben in Indien, dort ist der Vegetarier-Prozentsatz zwischen 30-40%, während er in den USA und Westeuropa bei ca. 3% liegt. Vegetarismus ist auch in anderen asiatischen Ländern verbreiteter als bei uns und gesellschaftlich stärker anerkannt. Besonders stark ist die vegetarische und vegane Lebensweise beispielsweise in Korea verbreitet. Maßgeblich hat dort erst der westliche Einfluss zur Ausdehnung des Konsums von Tierprodukten geführt. Auch der massenhafte Milchkonsum wurde übrigens in Asien erst durch die westlichen Länder eingeführt.

- Die Zerstörung unserer Weltmeere mit einem resultierenden Fischozid ist zum größten Teil auf die westlichen Industrieländer zurück zu führen.

- Die Mehrheit der Tierversuche wird in den westlichen Industrieländern durchgeführt.

- Die Spezialität der Stopfleber, ein eindeutiges Qualprodukt, ist eine französische Erfindung. Es sind durch die westliche Kultur geprägte Wissenschaftler, die diese Stopfleberproduktion sogar als Ausdruck einer schätzenswerten Tier-Mensch-Beziehung romantisieren.

- Das lebendige Kochen von Hummern, deren Leidensfähigkeit mittlerweile gesichert ist, spielt sich tagtäglich vorwiegend in europäischen oder europäisch geprägten Nobelrestaurants ab.

Wie kann aus tierschützerischer oder veganer Sichtweise von einer moralischen Überlegenheit der europäischen oder westlichen Kultur in Anbetracht des enormen Tierleides, welches bei uns präsent ist, gesprochen werden?

Es handelt sich hier um kognitive Verzerrungen, die durch eine Fokussierung auf Einzelaspekte und die Ausblendung anderer Aspekte entsteht. Dadurch wird ein Gesamtbild geschaffen, welches keine angemessene Repräsentation der Wirklichkeit mehr dargestellt. Gleichzeitig wird die Homogenität (Einheitlichkeit) von Menschen und Praktiken anderer Kulturen oder Religionen überschätzt, so dass diesen unberechtigt insgesamt besondere Grausamkeit, mangelnde Empathie oder gar sadistische Motivationen unterstellt werden.

Wenn man beispielsweise sich ausschließlich auf die Frage des betäubungslosen Schächtens konzentriert, dann mögen Muslime und Juden in der Tat als gegenüber Tieren grausamer erscheinen als Christen. Wenn wir uns ausschließlich mit dem Wohlergehen von Hunden beschäftigen, dann mögen Vietnamesen und andere asiatische Völker, bei denen Hunde gegessen werden. als Ausgeburt der Tierverachtung erscheinen. Wenn wir Schlangen höher schätzen als Hummer, mag deren lebendige Enthäutung als barbarischer erscheinen als das lebendige Kochen der Hummer. Wenn wir uns nur Hahnenkämpfe anschauen, mögen wir die Stierkämpfe und die Hundekämpfe, aber auch unsere Zirkusse, vergessen. Die Empörung über in Käfigen gehaltene und angekettete Affen mag uns das Schicksal der Delfine in unseren Delfinarien übersehen lassen. Die Qual der Bären zum Gewinn traditioneller chinesischer Medizin, mag den Blick von der millionenfachen Grausamkeit bei uns durchgeführter Tierversuche ablenken.

Warum generalisieren manche Tierschützer nicht von den Grausamkeiten bei uns auf eine allgemeine Grausamkeit aller Europäer, US-Amerikaner oder Christen, während sie eher bereit sind, dies für Asiaten, Afrikaner, Juden oder Muslime zu tun?

Vermutlich weil sie selbst Europäer, Nordamerikaner oder Christen sind und sich selbst sowie ihre Freunde und Bekannten als Gegenbeispiele für eine solche Generalisierung erleben. Es fehlen ihnen die vielen Beispiele von Tierschützern in allen anderen Ländern der Welt und bei allen Religionen, die gegen eine Generalisierung sprechen. Es ist ihnen nicht bekannt, dass es mehr vietnamesische und chinesische Vegetarier gibt als deutsche, dass zahlreiche Vietnamesen kein Hundefleisch essen und zahlreiche Chinesen keine Bärenmedizin einnehmen. Sie vergessen auch, dass Hunde nicht weniger Wert sind als Schweine.

Ein Standpunkt aus reflektierte veganer Sichtweise ist mit kognitiven Verzerrungen, die Mitglieder anderer Kulturen die Schuld für das Tierleid zuschieben möchten, unvereinbar. Die vegane Sichtweise wendet sich gegen alle Praktiken, die das Leben von Tieren für den Menschen instrumentalisieren, Leid über Tiere bringen und tierische Körper oder Körperbestandteile als für den menschlichen Verzehr bestimmt definieren. Der vegane Standpunkt möchte nicht gegen Kulturen kämpfen, sondern für Tiere. Er kritisiert Unrecht gegenüber Tieren, wo immer es geschieht, ohne unter Rückgriff auf einige Lieblingstierarten oder Fokussierung auf einzelne Qual-Praktiken, das Gesamtbild zu verfälschen und die Überlegenheit der eigenen Kultur zu behaupten.

Veganer sind keine Rassisten und auch nicht Anhänger einer Überlegenheitsideologie einer bestimmten Religion, sondern sie streben an, das Leid aller leidensfähigen Wesen - Tiere wie Menschen - zu reduzieren, wo es auch nur reduziert werden kann. Auch wenn es in Einzelaspekten Unterschiede zwischen Kulturen und Religionen gibt, sieht sich der vegane Standpunkt in der gegenwärtigen Welt überall und ausnahmslos mit einer Mehrheitsgesellschaft konfrontiert, die das Leid der Tiere duldet und ihre Instrumentalisierung unterstützt. Veganer kritisieren daher nicht einzelne Religionen oder Kulturen, sondern alle Religionen, Völker und Kulturen dort, wo sie Tieren Leid zufügen und sich einer veganen Gesellschaft entgegen stellen.

Wer demggegenüber sich nur auf Einzelaspekte konzentiert und auf dieser Grundlage eine Unterlegenheit anderer Kulturen, Völker oder Religionen postuliert, handelt nicht nur rassistisch und kultur-chauvenistisch, sondern ist gleichzeitig weit entfernt von wirklichem Tierschutz und Veganismus.

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