Interview mit Svenja Hartmann über Ihr Engagement für vegane Familien
Im Interview erklärt Svenja Hartmann, wie sich Eltern mit veganen Kindern für ihre und alle veganen Kinder engagieren können.
Hintergrund
Vegane Eltern, die ihre Kinder vegan ernähren, berichteten in unserer Umfrage über weitreichende und häufige Diskriminierung in allen Lebensbereichen. Sie müssen sich demnach mit Vorbehalten und Ablehnungen auseinandersetzen durch die eigene Familie und den Freundeskreis, durch Nachbarn und Zufallsbekannte, durch Kindergärten, Schulen, Ärzte und Jugendämter. Während die meisten Befragten resilient sind, wird eine signifikante Minderheit durch die ihnen entgegenschlagenden Mikroaggressionen seelisch erheblich belastet. Fast jedes zehnte Elternteil denkt deshalb sogar bereits über Auswanderung nach.
Engagement für vegane Kinder
Wir bleiben am Thema dran und haben Svenja Hartmann interviewt. Svenja ist Mutter eines dreijährigen vegan lebenden Sohnes. Sie arbeitet als Sozialpädagogin und Inklusionscoach. Im Interview berichtet sie über ihre Erfahrungen mit der veganen Ernährung ihres Sohnes im Kindergarten. Sie schildert, wie sie sich aktuell bei der Vernetzungsstelle Brandenburg für eine Berücksichtigung der Belange veganer Kinder einsetzt.
Svenja möchte konkret durch den Dialog mit den Vernetzungsstellen, die wiederum im engen Kontakt mit der DGE stehen, eine Verbesserung der Situation veganer Familien erreichen.
Leser:innen mit minderjährigen Kindern können dies unterstützen, indem sie sich selbst ebenfalls mit der für sie zuständigen Vernetzungsstelle in Verbindung setzen. Dadurch machen sie deutlich deutlich, dass es Bedarf besteht und erhöhen so die Chance für eine Lösung der schweren Situation veganer Familien in Kindergarten und Schule.
Mithilfe erwünscht!
Bitte beteiligt Euch an dieser Aktion und schreibt Eure Vernetzungsstelle an. Die Vernetzungsstellen und ihre Kontaktadressen könnt Ihr aus der Liste am Ende dieses Interviews entnehmen.
Während sich Svenja Hartmann als Mutter eines driejährigen Kindes gezielt für die Lebenswelt "Kindergarten" engagiert, gibt es ebenfalls eine Initiative, die sich ganz auf die Lebenswelt "Schule" ausrichtet, um veganen Schulindern eine angemessene vegane Verpflegung zu ermöglichen. Hier findet ihr weitere Informationen zur "Initiative pflanzliche(re) Schulverpflegung", einschließlich der Dokumentation einer Korrespondenz mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE).
Svenja Hartmann - eine vegane Mutter im Interview
Du engagierst Dich dafür, dass die Situation für vegane Kinder in den Kindergärten und Schulen verbessert wird. Worum geht es bei Deiner aktuellen Initiative genau?
Die aktuelle Initiative zielt vor allem darauf ab, dass sich vegan oder auch vegetarisch lebende Familien, die Probleme in einer entsprechenden Versorgung ihrer Kinder in Kindergarten und Schule haben, sich Gehör verschaffen. Die entsprechenden Instanzen müssen feststellen, dass die Forderungen großer Institutionen zum Thema pflanzliche Ernährung tatsächlich auch den Bedarfen und Realitäten der Menschen hier in Deutschland entspricht. Das erhöht den Handlungsdruck. Es ist 2023 - warum kann mein Kind nicht in jeder Einrichtung etwas veganes zu Essen bekommen?
Was können Leser:innen tun, um Deine Initiative zu unterstützen?
Das einfachste, schnellste und hilfreichste, was derzeit getan werden kann ist: eine E-Mail an die Vernetzungsstelle des eigenen Bundeslandes zu schreiben. Darin kann man formulieren, wie die eigene Situation in Hinblick auf die vegane Verpflegung in Kita/Schule gerade aussieht, bzw. dass diese nicht möglich ist, sich das dringend ändern muss und man sich dort Unterstützung wünscht. Eine Formulierungshilfe gibt es auch in unserer Facebookgruppe "Gemeinsam für eine vegane/vegetarische Verpflegung in Kita und Schule". Am 26. und 27.4. kommen die Mitarbeitenden der Vernetzungsstellen bundesweit zusammen und haben auch das Thema vegane Verpflegung mit auf der Tagesordnung. Wir haben dort einen Präzedenzfall ausgelöst der sowohl dort, als auch bei der DGE zur Diskussion vorliegt. Je mehr Fälle aus den Bundesländern vorliegen, desto mehr gewinnt das Thema an Relevanz. Je mehr Mails bis zu diesem Treffen eingehen, umso besser!
Du hast einen 3-jährigen Sohn, der sich vegan ernährt. Was waren bisher Deine Erfahrungen und bist Du auf Schwierigkeiten gestoßen?
Es ist immer dann schwierig, wenn es keine Alternativen gibt. Gerade bei Produkten, bei denen man tierische Inhaltsstoffe nicht direkt "erkennen" kann, wie beispielsweise bei einem Stück Fleisch, ist es für Kinder in diesem Alter natürlich wahnsinnig schwierig das zu erfassen. Mein Sohn ist mehr als überzeugter Vegetarier bzw. Veganer - da muss ich ihn teilweise eher bremsen, auch für andere Enährungsformen Akzeptanz zu zeigen. Das Internet und die Literatur geben mittlerweile soviel Unterstützungsmöglichkeiten für Familien, über die man an wichtige Informationen und auch in den Austausch kommt. Ich glaube es ist häufig schwierig, dass man vielleicht in seinem direkten Umfeld niemanden hat, der seine Kinder auch vegan ernährt. Dieser persönliche Austausch hilft einem natürlich über brisante Erfahrungen hinweg und stärkt einem auch in seinem Selbstbewusstsein, für die eigenen Rechte und Überzeugungen z.B. in der Kita einzustehen. Als Alleinkämpfer ist das eben häufig schwierig.
Haben vegane Kinder und ihre Eltern allgemein Probleme in Kindergärten und Schulen?
Auf jeden Fall. Es beginnt doch schon bei der ersten Kontaktaufnahme, in der man sich höflich nach Umsetzungsmöglichkeiten von veganer Verpflegung erkundigt. Da erwartet einen gerne schonmal ein erster Vortrag über Kindeswohlgefährdung. Viele Eltern sind verunsichert, wie offen sie tatsächlich mit diesem Thema umgehen können oder ob es in der Konsequenz dessen zu Diskriminierungserfahrungen kommen kann. Das ist absurd, dass wir um die adäquate Betreuung unserer Kinder fürchten müssen, nur weil wir uns pflanzenbasiert ernähren. Gemeinschaftsverpflegung bedeutet immer auch Situationen in der man mit anderen Verpflegungsarten konfrontiert ist: der Vollmilch-Weihnachtsmann auch im Körbchen der veganen Kinder. Das erfordert auch von den Eltern viel Sensibilität im Umgang mit solchen Situationen: wie erkläre ich solche Situationen dem Kind und welcher Umgang damit ist für alle das Beste? Ich habe bei solchen Situationen zum Beispiel immer eine Alternative im Rucksack und lasse das Kind dann zwischen dem "Kita-Weihachtsmann" und dem "veganen Weihnachtsmann" wählen. Die Entscheidung liegt dann eigentlich immer bei der veganen Variante. Das alles wäre aber natürlich nicht nötig, wenn eine vegane Ernährung in der Gemeinschaftsverpflegung einen weiteren Standard bilden würde.
Kannst Du noch einmal genauer erklären, welche Rolle die DGE und die Vernetzungsstellen nach Deiner Recherche für diese Situation spielen?
Die DGE gibt federführend den Ton für die Rahmenbedingungen der Gemeinschaftsverpflegung in allen möglichen Bereichen (Schule, Kita, Altenpflege etc.) an und spricht Empfehlungen aus. Daran orientieren sich wiederum auch die Caterer und Einrichtungen (obwohl es auch hier eine hohe Anzahl an Einrichtungen gibt, die nicht DGE konform arbeiten). Bislang empfiehlt die DGE eindrücklich eine vegetarische, jedoch keine vegane Ernährung. Dieser Positionierung folgen dann auch viele Einrichtungen und beziehen ihre Argumentation auf die DGE. Erfreulicherweise hat sich die DGE in den letzten Wochen und Monaten dem Thema pflanzenbasierter Ernährung aber intensiv gewidmet und wird in diesem Jahr die Empfehlungen überarbeiten. Der Ausgang ist natürlich ungewiss - daher ist es noch wichtiger, jetzt die Dringlichkeit und flächendeckende Nachfrage abzubilden.
Die Vernetzungsstellen agieren als Schnittstellen zwischen der DGE, den Caterern, Eltern und Einrichtungen wie Kitas und Schulen in den jeweiligen Bundesländern. Sie beraten und schulen Einrichtungen, sind AnsprechpartnerInnen für Eltern und stehen im engen Austausch mit der DGE. Daher können Sie als direkte Ansprechstelle für die Familien ein gutes verlängertes Sprachrohr an die DGE darstellen.
Ihr habt den Kontakt zur Vernetzungsstelle in Brandenburg. Hast Du den Eindruck, ernst genommen zu werden und wie ist der Stand des Verfahrens?
Mein Eindruck ist, dass das Interesse am Thema vegane bzw. pflanzenbasierte Ernährung und die Möglichhkeiten der Umsetzung enorm ist. Ich stieß dort auf ein offenes Ohr und intensive Möglichkeiten des Austausches - diese waren vor allem deshalb besonders wertvoll, weil sie nach konstruktiven Lösungen suchten. Daher kann ich die persönliche Kontaktaufnahme aus meinen bisherigen Erfahrungen wirklich sehr empfehlen. Ich bin weiterhin mit der Vernetzungsstelle im Austausch und werde dies auch weiterhin sein.
Was würdest Du denen sagen, die argumentieren, Kinder sollten nicht vegan leben?
Als Eltern stehen wir in der Verantwortung, die Zukunft unserer Kinder möglichst auch in ihren Interessen zu gestalten. In Anbetracht des Klimawandels und des Tierleids ist die vegane Lebensweise auf individueller Ebene eine der effektivsten Formen um a) selbst einen großen Einfluss zu nehmen, b) ein Bewusstsein für einen vernünftigen Umgang mit Ressourcen und unserer Umwelt und c) Empathie vorzuleben. Die wenigsten Kinder die ich kenne und tatsächlich über die Herkunft ihres Essens aufgeklärt sind, sind nach dieser Aufklärung überzeugte Omnivore. Kinder wollen nicht, dass Tiere sterben um sie zu essen. Das klingt platt, aber entspricht der Realität. Dieses Bedürfnis sollten wir als Eltern auch aus der Perspektive unserer Kinder ernst nehmen und begleiten. Wenn der Preis der veganen Kinderernährung der ist, dass es eine Tablette direkt und nicht im Fleisch verpackt essen muss - dann ist das im Sinne unserer Kinder, der Gesellschaft und der Umwelt doch tatsächlich ein unschlagbares Discounter-Angebot.
Ungefähr 90 % der Befragten in einer kürzlichen Umfrage von uns unter veganen Eltern mit minderjährigen Kindern berichteten über Ablehnung oder Diskriminierung in ihrem Umfeld. Hast Du selbst solche Erfahrungen auch außerhalb von Kindergarten und Schule gemacht?
Ich lebe seit ca. 10 Jahren vegan und vorher weitere 7 Jahre vegetarisch. Es ist beeindruckend, was sich in dieser Zeit getan hat. Und auch wie sich der Blickwinkel auf den Veganismus verändert hat. Eine vegetarische Lebensweise ist mittlerweile so standardisiert in der Gesellschaft verankert, dass Diskussionen dort gar nicht mehr stattfinden. Im privaten Bereich erlebe ich keine Diskriminierungen, eher ein ehrliches Interesse. Es werden viele Fragen gestellt und meistens dauert es auch nicht lange, bis neue Bekanntschaften oder Freunde von sich aus auf einmal vegane Rezepte oder auch Ersatzprodukte ausprobieren. Es ist mittlerweile auch selbstverständlich, dass bei Feiern und Grillabenden immer vegane Optionen zur Verfügung stehen. Das ist bemerkenswert und wirklich toll. Erstaunlicherweise werden selbst alle meiner omnivoren Freunde wütend und fassungslos, wenn ich von der Verpflegungssituation berichte. Mir ist aber auch klar, dass das nicht die Standardsituation ist. Von vielen Bekannten weiß ich um ständige Debatten zum Thema Ernährung - und leider sind auch die Wurst- und Veganerwitze vielerorts noch ein absolutes Highlight..
Was kann getan werden, um der Ablehnung und Diskriminierung veganen Familien entgegenzuwirken?
Das würde ich in zwei Ebenen unterscheiden: der privaten und der öffentlich-institutionellen.
- In unserem privaten Umfeld können wir wahnsinnig viel bewirken und das meist ohne großen Aufwand. Allein unsere subtile Anwesenheit bei allen Veranstaltungen die sich um Essen drehen und unseren unkommentierten mitgebrachten trojanischen Pferden - der überzeugende Schokokuchen, die vegane Kräuterbutter am Grillbuffet oder die Auswahl beim Kindergeburtstag. All das sind Dinge die die Mitmenschen nicht mit Moral und ethischen Bezugspunkten überfordern, sondern sie abholt. Weil sie einfach schmecken und leicht im Alltag umzusetzen sind. Natürlich gibt es auch immer wieder Menschen, bei denen das nie funktionieren wird. Das müssen wir akzeptieren - ich habe mittlerweile für mich entschieden, hier keine Grundsatzdiskussionen mehr einzugehen.
- Auf der anderen Seite benötigen wir auf der öffentlich-institutionellen Ebene viel mehr Rückendeckung. Da stehen wir als Familien leider häufig alleine da. Die Ministerien sollten bspw. ein reges Interesse daran haben, Familien eine vegane Lebensweise flächendeckend zu ermöglichen. Sie werden immerhin auch mit im Zugwang stehen um die Klimaneutralität Deutschlands zu erreichen. Auch die häufig eigentlich klare Rechtslage in Puncto Diskriminierung, Freiheit der Weltanschauung usw. werden in Bezug auf Veganismus häufig zur Grauzone. Das darf nicht sein - hier braucht es klare Richtlinien, die derartigen Diskriminierungen im Kontext öffentlicher Betreuungs- und Bildungseinrichtungen entgegentreten und sie gar nicht erst möglich machen. Die Umsetzung von einer veganen Ernährung in Kita und Schule darf nicht vom Standpunkt der Einrichtungsleitung und der Vehemenz und dem Durchhaltevermögen der Familien abhängen. Ebenso braucht es meiner Meinung nach eine zentrale Instanz, bei der sich vegan lebende Familien im Falle von Diskriminierungen hinwenden können.
Bist Du optimistisch, dass es für vegane Familien zu positiven Veränderungen kommen wird?
Es gibt am Ende gar keine andere Option, als optimistisch zu bleiben. Und gerade der rückwärtsgerichtete Blick der letzten 5 - 10 Jahre gibt dem Recht. Die steigende Tendenz vegan lebender Menschen wird anhalten und das Thema noch weiter in die gesellschaftliche Mitte rücken. Auch wenn die Zielgruppe häufig eher Flexitarier sind, die man z.B. aus Perspektive der Supermärkte oder Restaurants ansprechen möchte, hat das natürlich einen wahnsinnigen Impact auch auf rein vegan lebende Menschen. Da bin ich ganz bei Machiavellis "Der Zweck heiligt die Mittel".
Herzlichen Dank für dieses Interview
Liste der Vernetzungsstellen
Bitte setzt Euch mit den für Euch zuständigen Vernetzungsstellen in Verbindung, um eine tragfähige Lösung für Eure und alle veganen Kinder zu erreichen. Bitte beachtet, dass es teilweise getrennte Vernetzungsstellen für Kindergarten und Schule gibt: