Vegan und vegetarisch lebende Personen sehen sich oft Aggressionen ausgesetzt

Vegan und vegetarisch lebende Personen sehen sich oft Aggressionen ausgesetzt

Sogenannte Mikroaggressionen sind bedrohende oder abwertende Äußerungen, denen Menschen durch ihr soziales Umfeld ausgesetzt sind. Intensiv untersucht wurden beispielsweise Mikroaggressionen gegen Menschen mit einer von der vorgegebenen Heteronormalität abweichenden sexuellen Orientierung. Mikroaggressionen können die seelische Gesundheit von Menschen beinträchtigen. Dies zeigt beispielsweise eine neuere Studie bezüglich der Gesundheit bisexueller Frauen.

Ein hohes Ausmaß an Mikroaggressionen gegen eine spezielle Gruppe von Menschen ist als Hinweis auf eine gesellschaftlich verankerte Diskriminierung zu bewerten. Entsprechend sehen sich allgemein Minderheiten immer wieder Mikroaggressionen ausgesetzt.

Eine neue Studie von Denis Elaine LeRette zeigt, dass dies auch Menschen betrifft, die vegan oder vegetarisch leben. Anhand von Tiefeninterview mit vegan oder vegetarisch lebenden Teilnehmern fand LeRette heraus, dass vegan oder vegetarisch lebende Personen sich häufig mit aggressiven Kommentaren und Fragen bezüglich ihrer Ernährung durch Fleischesser konfrontiert sehen, wobei diese Kommentare vorwiegend entwertenden oder bedrohlichen Charakter aufweisen. Einige vegan oder vegetarisch lebende Personen reagieren nach dieser Studie auf die Gefahr von Mikroaggressionen, indem sie Gespräche über ihre Ernährung vermeiden.

Damit zeigen diese vegan oder vegetarisch lebenden Personen interessanterweise ein paralleles Verhalten zu Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung angegriffen werden und von denen ein Teil die Strategie wählt, ihre sexuelle Orientierung nicht zu thematisieren. Dies kann bis zur kompletten Verheimlichung der sexuellen Orientierung gehen. Allerdings können derartige Verheimlichungsstrategien zu einer weiteren Beschädigung der seelischen Gesundheit führen. Im Fall des Ernährungsverhaltens sind sie außerdem schwer anwendbar, da es sich bei der Ernährung um ein hochgradig sichtbares Verhalten handelt. Zudem fördern Strategien der bewussten Nicht-Thematisierung oder Verheimlichung die Aufrechterhaltung eines gesellschaftlichen Klimas der Diskriminierung, welches die Fortdauer im Alltag erlebter Mikroaggressionen bedingt.

Woher resultieren die Mikroaggressionen von fleischessenden Personen gegenüber Veganern oder Vegetariern?

Wissenschaftliche Befunde zeigen, dass bereits die Anwesenheit einer nicht fleischessenden Person genügt, um bei Fleischessern Abwehrhaltungen und negative Gefühle auszulösen. Interessanterweise begründen sich diese negativen Abwehrhaltungen aber nicht mit einer tatsächlich tiefgreifenden Ablehnung von Veganismus oder Vegetarismus, sondern mit eigenen Schuldgefühlen. Denn die Anwesenheit eines nicht fleischessenden Person aktiviert auch bei Fleischessern ihr tatsächlich vorhandenes Wissen, dass es nicht notwendig ist, für die eigene Ernährung Tiere zu töten. Typischerweise blenden Fleischesser dies Wissen erfolgreich aus. Durch die Anwesenheit einer veganen oder vegetarischen Person wird dieser Ausblendungsprozess aber behindert, so dass bei den Fleischessern als Stress erlebte innere Dissonanzen entstehen. Ihren Stress versuchen die Fleischesser nun zu reduzieren, indem sie die vegetarische oder vegane Person abwerten. Dieser Prozess der Stabilisierung des eigenen Selbstwertes durch Entwertung von Veganern oder Vegetariern äußert sich in Form von Mikroaggressionen.

Die Annahme, dass die Mikroaggressionen von Fleischessern gegen vegan oder vegetarisch lebende Personen durch ihr eigenes Wissen über die Problematik des Fleischkonsums erzeugt werden, wird auch durch eine Serie aus fünf Experimenten gestützt, gemäß derer Fleischessern grundsätzlich bewusst ist, dass es nicht richtig ist, Fleisch zu essen. Anstatt ihr Verhalten zu ändern, reagieren Fleischesser aber meistens mit Strategien der Leugnung, Verdrängung und Rechtfertigung.

Die aus veganer Sichtweise gute Nachricht ist, dass offenbar auch bei Fleischessern eine Wissens- und Bewertungsbasis besteht, die den eigenen Fleischkonsum eigentlich ablehnt. Eben hierauf weisen auch Befunde einer neuerlich von uns durchgeführten Meinungsumfrage (siehe hier und hier) hin, gemäß derer Fleischesser eine vegane Lebensweise deutlich positiver bewerten als den eigenen Fleischkonsum.

Insofern kann also davon ausgegangen werden, dass bei vielen Fleischessern eine Basis vorhanden ist, an die bei der Argumentation für die vegane Lebensweise angeknüpft werden kann. Im Grunde ist Fleischessern oftmals längst bewusst, dass Fleischverzehr eine aus ethischer Sichtweise fragwürdige Ernährungsweise ist.

Die schlechte Nachricht ist, dass vegan oder vegetarisch lebende Personen sich Aggressionen ausgesetzt sehen, von denen bekannt ist, dass sie die seelische Gesundheit schädigen können. Einige vegan oder vegetarisch lebende Personen reagieren auf diese Aggressionen, indem sie es vermeiden, über ihr Ernährungsverhalten zu sprechen. Dadurch erreichen die Mikroaggressionen aber letztlich ihren Zweck, nämlich die Sichtbarkeit von Alternativen zum Fleischkonsum zu reduzieren.

Wie können vegan oder vegetarisch lebende Personen am besten mit den Aggressionen ihres sozialen Umfeldes umgehen?

Die Strategie der Vermeidung mag kurzfristig hilfreich sein, führt aber im Ergebnis zur Aufrechterhaltung der diskriminierenden Struktur. Mikroaggressionen wirken sich vorwiegend dann negativ auf die seelische Stabilität aus, wenn keine kompensierende Struktur zur Verfügung steht. Sind Menschen aber in solidarische Bezüge eingebettet, verlieren Mikroaggressionen ihre belastende und krankmachende Funktion. Gerade wenn Mikroaggressionen als Belastung erlebt werden, empfiehlt sich der Anschluss an Gleichgesinnte, um dadurch die innere Stärke zu gewinnen, sich mit den Mikroaggressionen des fleischessenden Umfeldes aktiv auseinanderzusetzen, anstatt über reine Vermeidung den Weg des geringsten Widerstandes zu wählen.

So ärgerlich die häufigen Mikroaggressionen des fleischessenden Umfeld gegenüber veganen oder vegetarisch lebenden Personen auch sind, sind sie letztlich Ausdruck der Schwäche der Pro-Fleisch-Argumentation. Mikroaggressionen des fleischessenden Umfeldes bieten daher vegan oder vegetarisch lebenden Person die Chance, diese aufzugreifen und sich so argumentativ mit ihren Urhebern auseinanderzusetzen, die in Wirklichkeit an ihrer eigenen Lebensweise leiden.

Durch das Aufzeigen von Wegen zu Fleischverzicht und veganer Lebensart mit möglichst konkreten Unterstützungsangeboten kann es gelingen, den Wechsel zu einer veganen Lebensweise zu fördern und so den Urhebern von Mikroaggressionen ihren eigenen Leidensdruck zu nehmen. Die Aggression von Fleischessern gegen Veganer oder Vegetarier kann insofern durchaus auch als ein Hilferuf verstanden werden.

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