Moralischer Fleischverzicht ist keine Rationalisierung für Ekel

Moralischer Fleischverzicht ist keine Rationalisierung für Ekel

Eine emotionspsychologische Theorie besagt, dass moralische Urteile in Wirklichkeit die Konsequenz von Gefühlen sind, auf deren Basis erst im Anschluss eine moralisch fundierte Rationalisierung erfolgt. Eine gegenteilige Möglichkeit bestünde darin, dass aus dem Ergebnis einer vorherigen moralischen Analyse eine Veränderung von Gefühlen erfolgt.

Im Fachjournal Appetite hat soeben ein Forscherteam eine Studie veröffentlicht, die die Hypothese untersucht, dass Personen, die aus moralischen Gründen kein Fleisch essen, nicht vorrangig moralisch, sondern durch Ekelgefühle motiviert sind. Ausgehend von Studien, die zeigen, dass aus moralischen Gründen vegetarisch lebende Personen mehr Ekel gegenüber Fleisch empfinden als gesundheitsmotivierte Vegetarier, nahmen die Autoren an, dass moralisch motivierte Vegetarier auch allgemein eine stärkere Sensitivität für Ekelempfinden erleben sollten. Aufgrund dieser höheren Empfänglichkeit für Ekelgefühle – so die Hypothese – würden moralisch motivierte Vegetarier auch mehr Ekel gegenüber Fleisch empfinden, diesen eigenen Ekel dann im Nachhinein rationalisieren und so zu einer moralischen Begründung für ihre vegetarische Ernährungsweise gelangen. Demnach wäre also moralischer Vegetarismus tatsächlich nicht vorrangig moralisch begründet, sondern die moralische Begründung wäre lediglich eine sekundäre Reaktion auf eine erhöhte Ekelsensitivität, aufgrund derer Vegetarier schneller und stärkere Ekelgefühle gegenüber Fleisch entwickeln.

Um ihre Hypothese zu untersuchen, befragten die Autoren 945 Erwachsene zu ihrem Konsum von Fleisch, Gründen für den Verzicht auf Fleisch und ihre Empfänglichkeit für Ekelgefühle.

Die Ergebnisse widerlegten die Ausgangshypothese:

Entgegen der Erwartungen kennzeichneten sich Fleischesser nicht durch eine geringere, sondern durch eine höhere Ekelsensitivität. Zudem waren moralisch motivierte Vegetarier nicht sensitiver für Ekelgefühle als aus gesundheitlichen Gründen vegetarisch lebende Personen.

Die Autoren gelangen zu der Schlussfolgerung, dass die Ekelgefühle von moralisch motivierten Vegetariern gegenüber Fleisch wahrscheinlich nicht die Ursache, sondern die Folge der moralischen Argumentation sind.

Die Studie untersuchte Fleischesser und Vegetarier, wobei keine vegan lebenden Personen in die Untersuchung einbezogen waren. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Befunde auf vegan lebende Personen übertragbar sind. Denn vegan und vegetarisch lebende Personen haben den Fleischverzicht gemeinsam und außerdem ernährten sich die meisten vegan lebenden Personen zunächst vegetarisch, bevor sie zur veganen Ernährung wechselten.

Für Anstrengungen zur Förderung der veganen Lebensweise folgt, dass eine reine Fokussierung auf emotionale Reaktionen, wie Ekel, allein nicht hinreichend sein dürfte, um eine stabile und moralisch begründete vegane Lebensweise zu verankern. Vielmehr erscheint die direkte Vermittlung einer moralischen Argumentation für die vegane Lebensweise als unverzichtbar.

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