Macht fleischlos depressiv?
Im Fachjournal Journal of Affective Disorders wurde eine Studie veröffentlicht, die zu dem Ergebnis gelangt, dass vegetarisch (vegan oder vegetarisch) lebende Teilnehmer leicht höhere Werte in Fragebögen zur Erfassung von Depressivität aufwiesen. Die Studie schloss 9968 Männer ein, von denen 350 angegeben hatten, vegetarisch zu leben. Daten zu Frauen lagen nicht vor. Eine Unterscheidung zwischen vegetarisch und vegan erfolgte in der Studie nicht.
Die Autoren diskutieren, ob womögilch eine schlechtere Versorgung mit Vitamin B12 die höheren Depressions-Werte der vegetarischen Studienteilnehmer erklären könnte. Diese Spekulation der Autoren ist aber voreilig, weil es vermutlich zwei ganz andere Gründe gibt, die den Befund einfach erklären können:
- Es handelt sich bei der Studie um eine sogenannte Querschnittsstudie, bei der die Erfassung des Ernährungsstatus zur gleichen Zeit erfolgte wie die Erfassung der Depressivität. Dadurch ist es möglich, dass nicht die vegane Ernährung zu Depressivität führte, sondern umgekehrt Depressivität bzw. die mit ihr verbundenen kritischen Lebensereignisse ein Umdenken und dadurch einen Wechsel zur veganen Ernährung bedingten. Diese alternative Erklärung ist nicht implausibel. Menschen, die sich in schweren Lebenssituationen befinden, neigen dazu, Veränderungen durchzuführen. Für einen solchen möglichen Reihenfolgeeffekt wurde in der Studie nicht kontrolliert.
- Konservative weisen in Studien ein etwas höheres psychisches Wohlbefinden auf als Menschen mit politisch progressiven Einstellungen. Eine neue internationale Studie zeigt, dass Konservative insbesondere in solchen Ländern glücklicher sind, die besonders problembehaftet sind. Demnach neigen Konservative also eher dazu, Probleme innerpsychisch auszublenden, um ihr Wohlbefinden zu stabilisieren. Dies betrifft auch Probleme anderer, auf die Menschen mit Mitgefühl reagieren können. So zeigt eine weitere Studie, dass geringere Empathie mit stärker politisch rechtsgerichtetem Denken einhergeht. Konservative können offenbar auch in solchen Situationen ihr Leben besser genießen, wo zur gleichen Zeit andere Menschen (oder Tiere) leiden. Vegan lebende Personen sind aber selten konservativ und kennzeichnen sich durch höhere Empathie. In der Studie wurde dies nicht berücksichtigt.
Übrigens haben wir bei dem Erstautor der Studie nachgefragt und ihm die beiden alternativen Erklärungen zur Bewertung vorgelegt. Er antwortete, er sei im Urlaub und habe die Anfrage an die Presseabteilung der Universität weitergeleitet. Diese hat sich bisher nicht gemeldet.
Was kann aus der Studie gelernt werden?
Obwohl es sich um eine methodisch stark beschränkte Studie handelt und die Autoren aus ihr voreilige hypothetische Schlüsse gezogen haben, weisen die Befunde doch auch auf ein mögliches Dilemma hin:
Je mehr Menschen sich mit bestehenden Missständen, wie Tierleid, Welthunger und Umweltzerstörung, befassen, desto eher mögen sie auch unter diesen leiden, was in Einzelfällen bis hin zur Herausbildung einer Depression gehen kann. Sich stattdessen abzuwenden und das bestehende Leid auszublenden, mag individuell zunächst verlockend scheinen, würde aber zur Aufrechterhaltung der Missstände führen, unter denen berechtigt gelitten wird. Aus psychologischer Sichtweise gibt es aber einen Weg, um depressiven Reaktionen entgegenzuwirken und gleichzeitig das Elend zu beseitigen:
Sich zusammenschließen und gemeinsam für eine bessere Welt kämpfen.