Vegan versus Krieg
Lust am Töten und Mitgefühl
In Anbetracht der brutalen Kriegsgewalt auf dem Staatsgebiet der Ukraine titelten mehrere Zeitungen, dass der Mensch Lust empfinde am Jagen und Töten.
- Die Jagd auf Menschen, sogar das Töten kann Vergnügen bereiten, sie kann bis zu einem Blutrausch führen.
Thomas Elbert, Professor für Neuropsychologe an der Universität Koblenz, äußert sich zur Lust am Töten folgendermaßen:
- Die Lust, andere Menschen zu jagen und zu quälen, bricht dann hervor, wenn die Schutzwälle, die die Zivilisation errichtet hat, einstürzen. Beispielsweise in Kriegs- und Krisengebieten, wenn moralische und gesellschaftliche Hemmungen wegfallen. Es ist übrigens fast ausschließlich eine männliche Lust.
Tatsächlich lässt sich nicht von der Hand weisen, dass sich hier ein mögliches Erlebens- und Handlungspotential des Menschen zeigt.
Freilich gibt es aber ein zweites mögliches Erlebens- und Handlungspotential, welches der Lust am Jagen und Töten diametral entgegengesetzt ist:
- Die Fähigkeit zu Mitgefühl, Empathie und Hilfeleistung.
Die Verteilung dieser beiden entgegengesetzten Handlungspotentiale kann wiederum schwanken:
- Der gleiche Mensch handelt in einer bestimmten Situation gewalttätig, in einer anderen friedfertig. Dies erklärt das Phänomen, dass Menschen die größte Brutalität gegenüber anderen Menschen zeigen und doch liebevoll zu ihren Angehörigen sein können.
Umgekehrt gibt es aber auch einen Bezug zu stabileren Persönlichkeitsmerkmalen:
- Es gibt Menschen, die häufiger gewalttätiger werden als andere, manche sogar nie.
Entsprechend widersprüchlich sind die Lebenswege von Menschen:
- Es gibt Menschen, die den Sinn ihres Lebens darin sehen, Leid zu mindern und anderen zu helfen.
- Andere fallen auf durch Hartherzigkeit oder gar sadistische Lust an Zerstörung und destruktiver Macht.
- Viele Menschen bewegen sich zwischen diesen beiden Polen.
Vegan als Weg aus der Gewalt
- Was kann aber getan werden, damit Friedfertigkeit und Mitgefühl das menschliche Verhalten prägen?
- Wie kann die Schwelle für Gewalttätgikeit und Brutalität so erhöht werden, dass sie (nahezu) niemals überschritten wird?
Ich bin überzeugt, dass die entscheidende Antwort im Veganismus liegt:
- Die vegane Lebensweise trägt die Hoffnung in sich, dass beide Formen der Gewalt - Gewalt geben Tiere und Gewalt gegen Menschen - überwunden werden können.
Diese Hoffnung begleitet den Veganismus bereits von Anbeginn und sie spiegelt sich wider in der Tolstoi zugeschrieben Aussage "solange es Schlachthäuser gibt, wird es Schlachtfelder geben".
Gewalt ist Gewalt
Tatsächlich sprechen wissenschaftliche Befunde für einen engen Zusammenhang zwischen Gewalt gegen Tiere und Gewalt gegen Menschen.
Eine Untersuchung der Psychologen Overton, Hensley & Tallichet mit Strafgefangenen gelangte zu dem Ergebnis, dass fast zwei Drittel der befragten Strafgefangenen in der Kindheit mindestens einmal Tiere quälten. Die Häufigkeit tierquälerischer Handlungsweisen im Kindesalter korrelierte späterer gewalttätiger Handlungsweisen gegenüber Menschen.
Henderson, Hensley & Tallichet gelangten zu der Schlussfolgerung, dass je früher im Kindesalter Tierquälerei auftritt mit desto größerer Wahrscheinlichkeit später im Erwachsenenalter gegen Menschen gerichtete Gewalttaten begangen werden.
Eine Schweizer Studie mit 3600 Schülern der Klassenstufen 7 - 9 belegte ebenfalls signifikante Zusammenhänge zwischen Tierquälerei, Vandalismus und Gewalttaten gegen Menschen.
Interessanterweise beschrieb Issei Sagawa, der eine Studentin erschoss, zerlegte und aß, dass er vorher bei einem Fleischer gelernt habe, wie Tiere zu zerlegen seien. Er habe ihm im Anschluss an seine Tat eine Dankeskarte geschrieben.
Armin Meives, der sogenannte Kannibale von Rotenburg, berichtete über Schlachtfeste in der Kindheit, die bei ihm den Wunsch nach der Tötung, Zerlegung und dem Verzehr eines Menschen angeregt hätten.
Es lassen sich weitere Beispiele geben:
- Das Video-Material von Wikileaks über das Verhalten von US-Soldaten im Irak beinhaltete eine Aufnahme, die dokumentierte, wie US-Soldaten mit Begeisterung aus dem Helikopter Jagd auf Menschen machten und ihre Abschüsse regelrecht feierten.
Kommen wir zu einem nur scheinbar anderen Bereich:
In einer SWR-Dokumentation äußerte sich eine Jägerin folgendermaßen:
- Ich finde das für mich sehr schön, dass ich mit einer geladenen Waffe auf dem Hochsitz sitzen kann und es in meinem Ermessen liegt, ob ich jetzt schieße oder nicht. Das finde ich für mich ganz toll. Was sind das für Gefühle, die da aufkommen?: So Machtgefühle irgendwie:
Die Parallelität ist offensichtlich - hier eine weitere Parallelität:
Ein verletzter Dolphin wurde von einer sich amüierenden Menschenmenge benutzt, um auf ihn zu reiten. Auch als er am Strand verendete, amüsierten sich die betreffenden Person weiterhin.
Menschen können sich am Leid der anderen erfreuen, ob es das Leid von Tieren oder Menschen ist.
Von Tiertötung und Menschentötung
Verhaltensweisen können situational eingeschränkt sein, aber auch situational eingeschränkte Verhaltensweisen können jederzeit auf neue Situationen generalisieren, wenn sich dies anbietet oder opportun ist.
Praktizieren Menschen ein bestimmtes Verhalten in einer bestimmten Situation, so ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie dies Verhalten künftig auch in anderen Situationen praktizieren werden. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist jedenfalls erheblich höher, als wenn das betreffende Verhalten niemals praktiziert worden wäre.
Hieraus lässt sich folgern, dass Menschen, die Gewalt gegen Tiere ausüben mit höherer Wahrscheinlichkeit auch Gewalt gegen Menschen ausüben werden als Menschen, die niemals Gewalt gegen Tiere ausübten.
Für diesen Zusammenhang besteht sogar ein gesellschaftliches Bewusstsein, welches allerdings meistens unterhalb der Oberfläche bleibt:
- Die aktuellen Zeitungsberichte über die Lust an Jagd und Töten im Ukraine-Krieg belegen, dass die Parallelität zwischen Jagd als typischerweise gegen Tiere gerichtete Gewalt und Töten von Menschen und Krieg erkannt wird.
Selbst aus den Schilderungen von Gewaltopfern lässt sich die Parallelität zwischen Gewalt gegen Tiere und Gewalt gegen Menschen erkennen:
- Oft schildern Opfer exzessiver Gewalt, sie seien wie Vieh behandelt worden - implizit erkennen sie damit an, dass Gewalt gegen Tiere und Gewalt gegen Menschen etwas sehr ähnliches ist. Sonst würde die Aussage keinen Sinn machen.
Mit der gesellschaftlich legitimierten Gewalt gegen Tiere halten alle gegenwärtigen menschlichen Mehrheits-Gesellschaften und Staaten eine permanente Quelle von Gewalt aufrecht und erschaffen sie ständig über die Generationen neu.
Die Gewalt gegen Tiere ist systematisch, geplant und tief verankert in allen Gesellschaften.
Sie durchdringt mit dem Bereich der Ernährung und Bekleidung und zu einem kleineren Teil auch der Unterhaltung die wichtigsten gesellschaftlichen Bedürfnissysteme.
Abspielen tut sich ein Großteil dieser Gewalt in landwirtschaftlichen Betrieben und Schlachthöfen oder in den Fangnetzen der Fischerei. Ihre Resultate werden für alle sichtbar in Lebensmittelgeschäften, Restaurants und auf unseren privaten Esstischen.
Diese gesellschaftliche Praxis der Gewalt gegen Tiere kann nur aufrechterhalten werden, weil sie als legitim betrachtet wird. Es handelt sich bei ihr nicht um die Verstöße einzelner gegen eine Norm, sondern um ein gesellschaftlich gerechtfertigtes Routineverhalten.
So wird die Gewalt zur Norm und als abweichend oder gar extrem gelten diejenigen, die sich für eine Überwindung dieser Gewalt aussprechen.
Die Tötung von Tieren und die Tötung von Menschen sind technisch betrachtet sehr ähnliche Prozesse:
Sie gehen mit ähnlichen Handlungen, ähnlichen Auswirkungen auf die betroffenen Subjekte und ihre Organsysteme, ähnlichen sensorischen Eindrücken einher.
- Weder ein Tier noch ein Mensch scheidet einfach aus dem Leben. Es ist der Einsatz massiver Mittel erforderlich, um den Tod eines Tieres oder den Tod eines Menschen zu bewirken.
- Menschen und Tiere verfügen über einen basalen und biologisch gegebenen Überlebenswillen. Sie wehren sich gegen den Tod und versuchen, ihm zu entkommen. Sie vokalisieren oder schreien, sie fliehen oder kämpfen, um ihr Leben zu erhalten.
- Sehr ähnlich sind auch die biochemischen Prozesse der Schmerzwahrnehmung und auch der Ausdruck von Schmerzen unterscheidet sich letztlich zwischen Mensch, Hund, Kuh oder Schwein nur marginal.
Schließlich sind die Geschmackserlebnisse, die mit dem Konsum von Tierfleischeinhergehen sehr ähnlich und unterscheiden sich kaum vom Konsum von Menschenfleisch.
Wir wissen dies, weil immer mal wieder auch Menschen zu Burger oder Würsten verarbeitet wurden und es die Kunden solange offensichtlich nicht störte, wie sie die Menschen für Tiere hielten.
All dies bedeutet:
- Beim Töten von Tieren wird ein Verhalten eingeübt und gesellschaftlich legitimiert, welches eine starke Ähnlichkeit zum Töten von Menschen aufweist. Dies sind optimale Bedingungen dafür, dass dies Verhalten unter den gegebenen Umständen auf Menschen generalisieren kann.
Dies wiederum ist ein Teil der Erklärung dafür, warum Gewalttäter gegen Menschen so vorher bereits Gewalt gegen Tiere verübten.
Auf die Nutzung und Tötung von Tieren ausgerichtete Gesellschaften benötigen starke Rechtfertigungen für diese Gewalt. Werden aber Rechtfertigungen für Gewalt und Tötung gesellschaftlich verankert, ist eine generalisierte Haltung gegen Gewalt nicht mehr möglich. So wird Gewalt als eine prinzipiell mögliche Reaktionsform gesellschaftlich legitimiert und kann sich damit bei entsprechenden Bedingungen jederzeit auch gegen Menschen wenden.
Interessanterweise geht Gewalt gegen Menschen manchmal eine Dehumanisierung der Betreffenden voraus oder sie geht mit dieser Gewalt einher:
- Menschen werden zu Schweinen, Hunden, Ratten oder allgemein zu Tieren, die man totschlagen kann.
Hier bricht sich die internalisierte Legitimation der Gewalt gegen Tiere ihre Bahn als Gewalt gegen Menschen.
Diese Gleichsetzung fällt kognitiv und emotional nicht schwer, weil Menschen - als in Wirklichkeit nur eine andere Tierart - mit anderen Tiere so viele Erscheinungsformen teilen, dass wir eher dazu neigen, einen Menschen mit einem Hund gleichzusetzen als mit einem Schrank.
Vegan löscht die Quelle der Gewalt
Würden wir als Gesellschaft bereits die Gewalt gegen Tiere delegitimisieren, wäre es sehr viel weniger naheliegend, dass die Gleichsetzung von Menschen mit Tieren als Rechtfertigung oder Antriebskraft für Gewaltausübung, Tötung oder Vernichtung erlebt werden könnte.
Da Gewalt allgemein delegitimiert wäre, wäre es ebenso weniger wahrscheinlich, dass sie plötzlich als legitim erschiene. Wären Hemmungen gegen Gewalt gegen alle leidensfähigen Wesen etabliert, wäre es ein großer, ein unwahrscheinlicher Schutt, diese Hemmung für Menschen außer Kraft zu setzen.
Die Hoffnung, dass eine vegane Gesellschaft einem großem Teil der Gewalt gegen Tiere und Menschen ein Ende bereiten könnte, ist demnach mehr als ein ungedeckter Wunschtraum:
- Würde sich eine Gesellschaft etablieren, die von Anfang an allen ihren Neuankömmlingen den Wert von Mitgefühl gegenüber alle Wesen und die Ablehnung von Gewalt vermittelte und würde diese Gesellschaft daher mit Selbstverständlichkeit eine pflanzenbasierte Ernährung praktizieren, wäre der Schritt zur Gewalt ein wesentlich größerer, eine Abweichung, die bei weitem seltener und sicherlich nur unter exzeptionellen Anlässen gegangen werden würde.
- In so einer Gesellschaft würde Gewalt Einzelner nicht als Ausdruck gesellschaftliche Normalität, sondern als Abweichung erlebt werden, auf die eine auf Mitgefühl beruhende Gesellschaft mit Hilfe für die Betroffenen und ebenso rehabilitativer Unterstützung der Täter:innen reagieren würde.
Wie ließe sich das Aufwachsen in einer veganen Gesellschaft vorstellen?
Diese Schilderung dürfte der Realität nahe kommen:
- Kinder wachsen von klein auf mit pflanzlicher Nahrung auf. Ihnen wird vermittelt, dass wir mit Tieren wichtige Empfindungen teilen und dass wir als Menschen - anders als Raubtiere - keine Tiere töten müssen, um uns zu ernähren. Die Menschen um diese Kinder herum, die Erwachsenen und Gleichaltrigen, sehen es ebenso so. weil dies längst gesellschaftlicher Konsens geworden ist. Niemand tötet Tiere und isst sie. Es gibt auch keine Geschäfte, wo Tierkörper zum Konsum verkauft werden. Die neuen Gesellschaftsmitglieder lernen so als Selbstverständlichkeit Respekt, Wertschätzung und Mitgefühl gegenüber den Tieren, mit denen sie zusammen auf dieser Erde leben. Kein Leid zu erzeugen und Leid zu vermeiden, wo es vermeidbar ist, wird ihnen quasi in die Wiege mitgegeben. Dabei brauche sie auch nichts zu verzichten, weil sie nur die pflanzliche Ernährung kennen. Tiere begegnen ihnen als leidensfähige Wesen und Gefährten, die in Freiheit leben oder um die sich Menschen kümmern, wenn sie verletzt oder leidend sind.
Wie wahrscheinlich wäre es, dass die Mitglieder einer solchen Gesellschaft sich anschicken, Gewalt und Leid über die Tier- und Menschenwelt zu bringen?
Diese Gesellschaft existiert noch nicht. Aber eines können wir mit mindestens an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen:
- Die Wahrscheinlichkeit wäre gering, sicherlich jedenfalls bei weitem niedriger als die Wahrscheinlichkeit, dass die Mitglieder der derzeitigen Tiere ausbeutenden Gesellschaft mit Gewalt in Erscheinung treten, was sie ständig tun.
Vegan in diesem Sinne ist ein der Einsatz gegen Gewalt gegenüber Tieren wie auch gegenüber Menschen. Es geht um die Schaffung einer Gesellschaftsstruktur, Lebensweise und Erziehung, die sich den Potentialen zur Gewalt des Menschen konsequent entgegenstellt. An die Stelle der Gewalt setzt der Veganismus die ebenfalls vorhandenen Potentiale zu Empathie und Mitgefühl, die ausgebaut werden, um so die Schwelle für Gewalthandlungen weiterhin zu erhöhen. Gewalt gegen alle leidensfähigen Wesen wird so gesellschaftlich delegitimiert.
Auf diese Weise wäre eine vegane Gesellschaft in der Lage, die Quelle der menschlichen Gewalt zum Erlöschen zu bringen. Die tierausbeutende Gesellschaft kann dies nicht.
Manche Menschenrechtler:innen haben die Sorge, dass der Einsatz für Tierrechte oder eine vegane Lebensweise den Menschenrechenrechten Abbruch tun könnte. Das Gegenteil ist der Fall:
- Die Ausdehnung der Rechte der Tiere reduziert die menschliche Neigung und Bereitschaft zur Gewalt und führt damit ebenso zum verbesserten Schutz aller Menschen.