Vegan zu schwer und für die Allgemeinbevölkerung ungeeignet?
in einem Artikel der Frankfurter Rundschau zur veganen Ernährung wird dargelegt, dass eine vegane Ernährung ein sehr hohes Ausmaß an Planung bedürfe. Die Ernährungswissenschaftlerin Frau Prof. Kohlenberg gelangt dabei zu dem Schluss, dass sie eine vegane Ernährung für die Allgemeinbevölkerung nicht empfehlen könne.
Der Artikel ist durchaus einer veganen Ernährung nicht generell negativ gegenüber eingestellt, stellt aber vorwiegend Risiken heraus, ohne auf einen Großteil der möglichen gesundheitlichen Vorteile einer veganen Ernährung einzugehen. Auch ökologische, soziale und tierschutzbezogene Vorteile werden nur angeschnitten, ohne ihnen aber den Raum einzuräumen, den sie verdienen.
Der Artikel soll hier nicht im Einzelnen besprochen werden, sondern wir begnügen uns mit einigen die Gesamtaussage des Artikels hinreichend korrigierenden Hinweisen:
Eiweiß kein Problem bei veganer Ernährung
In dem Artikel wird Frau Prof. Kohlenberg mit der Aussage zitiert, dass es nicht so leicht sei, den Eiweißbedarf durch eine vegane Ernährung zu decken. Dazu sei eine besondere Kombination pflanzlicher Nahrungsmittel erforderlich, wobei eher ungewöhnliche Kombinationen benannt werden, wie Linsen mit Spätzle, die vermutlich der Allgemeinbevölkerung weniger bekannt sind.Es entsteht beim Leser der Eindruck, er müsse bei veganer Ernährung bei jedem Gericht genau darauf achten, dass die Kombination der Lebensmittel den Proteinbedarf decke. Tatsächlich genügt die Umsetzung einer vollwertigen und abwechslungsreichen veganen Ernährung, die verschiedenes Getreide (Reis, Mais, Hirse, Quinoa etc.), Tofuprodukte, ggf. Seitan und verschiedene Gemüsearten beinhaltet. Eine spezifische „Tellerplanung“ ist keineswegs notwendig und wird auch von so gut wie keinem der sich gesund vegan ernährenden Personen durchgeführt. Es liegen mittlerweile prospektive Längsschnittstudien mit großen Stichproben auch sich vegan ernährender Personen vor, hingewiesen sei auf die sogenannten Adventisten-Studien, dieOxford Vegetarier Studie und die EPIC-Oxford Kohortenstudie. Aus keiner dieser Studien lassen sich Hinweise dafür erkennen, dass Veganer gefährdet seien, einen Proteinmangel zu entwickeln.
Vitamin B12 Versorgung leicht zu gewährleisten
In dem Artikel wird erneut – und berechtigterweise – die Sachlage dargestellt, dass eine vegane Ernährung (ohne Supplementierung oder angereicherte Lebensmittel) keine ausreichende Versorgung mit Vitamin B12 gewährleisten kann. Auch wenn es ganz aktuelle wissenschaftliche Befunde dafür gibt, dass durch die Nori-Alge eine solche Versorgung doch möglich wäre, ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch korrekt, auszuführen, dass eine zuverlässige Vitamin B12 Versorgung durch eine rein pflanzenbasierte Kost nur schwer gewährleistet werden kann. Leider fehlt aber der Hinweis, dass es kinderleicht ist, die Vitamin B12 Versorgung durch angereicherte Lebensmittel oder Supplementierung zu sichern und dass keinerlei Komplikation bei sich vegan ernährenden Personen auftreten, die Vitamin B12 ausreichend supplementieren. Die einfache Regel „Vitamin B12 supplementieren“ genügt, um die ganze Diskussion obsolet zu machen. Es ist bedauerlich, dass im Artikel und durch Frau Prof. Kohlenberg nur auf das Problem, nicht aber auf seine Lösung verwiesen wird. Genau diese Haltung dürfte dazu beitragen, dass in der Tat noch viel zu wenige Veganer eine sichere Vitamin B12 Versorgung gewährleisten (siehe hier).
Jodmangel braucht nicht sein
Dargestellt wird ebenfalls die Gefahr eines Jodmangels. Tatsächlich besteht in weiten Teilen Deutschlands ein Jodmangelgebiet, weshalb auch für die Allgemeinbevölkerung die Empfehlung gegeben wird, Jodsalz zu konsumieren. Außerdem wird Seefisch empfohlen. Nun sind die katastrophalen Auswirkungen des weltweiten Fischfanges auf die Ökologie hinreichend bekannt. Gerade wurde auch noch einmal in den Medien die erschütternde und weit verbreitete Verwendung von Sklavenarbeit für den Fischfang offen gelegt. Die Empfehlung zum Seefischverzehr erscheint auch vor diesem Hintergrund als ökologisch und sozial unangemessen. Es stellt sich zudem die Frage, warum die alternative Empfehlung, Jodsalz zu konsumieren und 1-2 Mal in der Woche Meeresalgen zu verwenden, nicht gegeben wird? Ihr Umsetzungsgrad ist jedenfalls sicherlich nicht schwieriger als der Konsum von Seefisch, nur dass jener zu weitaus schlimmeren ökologischen und sozialen Folgewirkungen führt.
Nährstoffmängel auch bei Fleischessern
Auffällig ist, dass nur mögliche Nährstoffmängel bei Veganern diskutiert werden. Nicht diskutiert wird, dass in Abhängigkeit von der Art der Nährstoffe auch häufig Mängel bei Fleischessern auftreten, erwähnt sei beispielsweise Folsäure. Tatsächlich weisen Studien darauf hin, dass Nährstoffmängel bei Fleischessern eher häufiger auftreten (siehe hier), wobei eine umfassende Auswertung und Empfehlungsrichtlinie des US-Landwirtschaftsministeriums zu dem Schluss gelangt, dass eine angemessene Nährstoffversorgung mit einer veganen Ernährung sogar leichter umsetzbar ist als mit einer fleischbasierten Ernährungsweise. Hiermit übereinstimmend zeigt eine neue Studie auf der Basis übergeordneter Ernährungsindices, dass mit einer veganen Ernährung eine so weit als möglich optimal gesunde Ernährung eher umgesetzt wird als mit nicht-veganen Ernährungsformen. Komplett unerwähnt bleibt in dem FR-Artikel ebenfalls die Gefahr der exzessiven Aufnahme bestimmte Nährstoffe. Erwähnt sei die Eisenversorgung. Auch wenn bei einer veganen Ernährung bei Beherzigung weniger Ernährungsregeln eine ausreichende Versorgung ohne weiteres sichergestellt werden kann, ist der Eisenspiegel im Blut von Veganern tatsächlich im Durchschnitt niedriger. Wissenschaftliche Befunde weisen darauf hinweisen, dass gerade dies möglicherweise die bessere Gesundheit von vegan lebenden Personen erklären kann.
Vegane Ernährung gesundheitlich vorteilhaft
Konkrete mögliche gesundheitliche Vorteile einer vegane Ernährung werden im Artikel nur am Rande diskutiert. Dies ist nicht angemessen. Immerhin weisen die Befunde aus den Adventisten Studien darauf hin, dass auch bei Kontrolle von Faktoren, wie Alkohol- und Nikotinkonsum sowie der Bewegung, selbst bei einer relativ gesund lebenden Bevölkerungsgruppe die Häufigkeit von Krebserkrankungen, Herzerkrankungen und Diabetes durch eine vegane Ernährung gesenkt werden kann. Da diese Erkrankungen zu den meisten Todesfällen führen, sind diese Befunde von hoher Relevanz. Wäre eine vegane Ernährung vorwiegend riskant, müssten die Befunde in umgekehrter Reihenfolge ausfallen. Jedenfalls ist es zweifelhaft und führt zu falschen Lesereindrücken, in einem Artikel vorwiegend Risiken einer vegane Ernährung herauszustellen.
Kein erhöhter Untersuchungsbedarf für Veganer
Angeblich benötigen Veganer regelmäßige Blutuntersuchungen. Es gibt keinerlei Hinweis dafür, dass die abertausenden vegan lebenden Personen, die sich an prospektiven Untersuchungen beteiligten und die sich im Durchschnitt gesünder entwickelten als die fleischessenden Studienteilnehmer, derartige Extrauntersuchungen für sich in Anspruch genommen hätten. Es gibt tatsächlich keinen Grund anzunehmen, dass sich sich nach den Richtlinien für eine gesunde vegane Ernährung (z.B. der Academy of Nutrition and Dietetics) ernährende Veganer häufiger medizinisch untersuchen lassen sollten als Nicht-Veganer. Die Behauptung der erforderlichen Extrauntersuchungen für Veganer ist geeignet, die vegane Ernährung als eine dekadente Luxusernährung darzustellen, die ein besonders umfangreiches medizinisches Know How erfordere und daher beispielsweise für Menschen in der dritten Welt weniger geeignet sei. In Wirklichkeit ist es jedoch genau umgekehrt und die fleischbasierte Mischkost verschwendet natürliche Ressourcen auf Kosten der Umwelt und der Mitmenschen in den ärmeren Ländern dieser Welt. Eine vegane Ernährung ist nicht an höhere Anforderungen an die medizinische Versorgungsqualität und eine häufigere Inanspruchnahme medizinischer Leistungen gebunden, sondern spart medizinische Ressourcen gemäß der vorliegenden prospektiven Untersuchungen eher ein, da Veganer im Durchschnitt sich im Längsschnitt gesünder entwickeln.
Jede Ernährung bedarf der Planung
Der Verweis auf eine notwendige präzise Planung, die genannten ungewöhnlichen Gerichtekombinationen, wie Linsen mit Spätzle, sowie der Hinweis auf regelmäßig erforderliche medizinische Untersuchungen erzeugt den Eindruck einer besonders hohen Schwierigkeit einer veganen Ernährung, die daher für die Allgemeinbevölkerung ungeeignet sei. Tatsächlich wird die Schwierigkeit einer veganen Ernährung durch den Artikel und die Äußerungen von Frau Prof. Kohlenbergbei weitem übertrieben. Richtig ist, dass eine gesunde Ernährung immer auch ein Ernährungswissen und eine Planung benötigt. Die Sachlage der starken Verbreitung von Adipositas und ernährungsbedingter Erkrankungen in der nicht vegan lebenden Allgemeinbevölkerung macht dies deutlich. Insofern ist es unstrittig, dass auch eine gesunde vegane Ernährung einer Planung bedarf. Es gibt aber keinerlei empirische Evidenzen dafür, dass Ernährungsregeln für eine gesunde vegane Ernährung schwerer zu verstehen, schwerer zu merken oder schwerer umzusetzen wären als Ernährungsregeln für eine nicht-vegane Ernährung. Um das obige Beispiel zu wiederholen: Warum sollte es einfacher sein, Jodsalz und Seefisch zu konsumieren, als Jodsalz und Algen? Warum sollte es besonders schwer sein, eine Auswahl an Getreideprodukten, Bohnen, Tofu, Seitan und verschiedenen Gemüsen zu verzehren, die zudem billiger sind als Fleischprodukte? Wo ist das Problem dabei, jeden Tag 10 Mikrogramm Vitamin B12 oder mit Vitamin B12 angereicherte Nahrungsmittel zu konsumieren? Die Schwierigkeit der veganen Ernährung ist keine reale, sondern eine künstlich erschaffene, indem einige Ernährungsexperten immer nur die Schwierigkeiten betonen, anstatt die möglichen einfachen Lösungen zu formulieren. Im Hintergrund steht offenbar auch die Einschätzung, dass es der Allgemeinbevölkerung nicht zuzutrauen sei, einfache Ernährungsregeln für eine vegane Ernährung kennen zu lernen und zu befolgen. Indem man gar nicht erst versucht, diese Ernährungsregeln bekannt zu machen, trägt man in Wirklichkeit dazu bei, dass diese Annahme sich selbst bestätigt.
Deutschland ist konservativ
In Deutschland äußern sich Experten eher vorsichtig bis kritisch gegenüber einer veganen Ernährung. Auch wenn die USA in vielen Bereichen keineswegs ein gutes Vorbild sind, sind sie im Bereich der Expertenempfehlungen zur veganen Ernährung doch dem Konservatismus, der in Deutschland herrscht, um Jahre voraus. Werden in Deutschland Risiken betont, werden in den USA die vielfältigen Vorteile einer vegane Ernährung stärker benannt. Wird in Deutschland vor allem gewarnt, gibt mittlerweile sogar die Expertengruppe des US Landwirtschaftsministeriums selbst dezidierte Empfehlungen, wie eine gesunde vegane Ernährung von der Allgemeinbevölkerung gestaltet werden kann. Deshalb ist es in Deutschlands für die Allgemeinbevölkerung tatsächlich derzeit noch schwerer als in den USA, gesund vegan zu leben. Dies liegt aber nicht an der veganen Ernährung, sondern an den hiesigen Experten und den Medien.
Vegane Ernährung aus Gründen der Solidarität
Kaum berücksichtigt werden in dem Artikel die weiter gehenden ethisch-moralischen, ökologischen und sozialen Fragen, die mit der Auswahl unserer Ernährungsweise verbunden sind. Dabei zeigen neuste wissenschaftliche Befunde, dass eine vegane Ernährung, auch wenn alle Transportwege mit berücksichtigt werden, bei weitem umweltverträglicher ist als jede andere Form der Ernährung, einschließlich einer ovo-lacto vegetarische Ernährung. Vegan wird dabei als der wichtigste umweltprotektive Faktor der menschlichen Ernährung erkennbar (siehe auch hier.
Darüber hinaus ist jede Nutztierhaltung mit der Vergeudung von pflanzlichen Ressourcen und mit extensiverer Flächennutzung verbunden. Außerdem sind tierische Nahrungsmittel im Durchschnitt weniger leicht lager- und transportierbar und benötigen häufiger den Einsatz von Kühlsystemen. Eine vegane Ernährung ist daher diejenige Ernährungsform, die am ehesten geeignet ist, einen wirksamen Beitrag gegen den Hunger in der Welt zu leisten. Auch wenn vielfältige Faktoren, einschließlich der internationalen Verteilungsungerechtigkeit, zur Problematik des Welthungers beitragen, wäre seine Überwindung unter Rückgriff auf pflanzliche Lebensmittel bei weitem einfacher zu bewerkstelligen als wenn an der umweltschädlichen Nutztierhaltung festgehalten werden würde.
Selbstverständlich ist bei Diskussion der ethischen Aspekte auch der Tierschutz zu berücksichtigen. Eine Mischkost auf Fleisch beruht auf einer Einstellung zu Tieren, bei denen diese notwendigerweise auf die Verwertung ihrer Körper oder Körperbestandteile reduziert werden. Schlachtung ohne Leid ist nicht möglich, selbst wenn moderne Betäubungsformen angewandt werden. Nur durch eine Überwindung der Nutztierhaltung im Sinne einer veganen Lebensweise des Menschen kann das milliardenfache durch Menschen Tieren zugefügte Leid beendet werden.
Wenn also Frau Prof. Kohlenberg der Allgemeinbevölkerung davon abrät, vegan zu leben, rät sie ungewollt zu einer Ernährungsweise auf Kosten der natürlichen Ressourcen unseres Planeten, einschließlich der Wälder Und Weltmeere, auf Kosten der Armen und Hungernden, sowie auf Kosten der Tiere.
Besser werden kann unsere Welt nur, wenn sich nicht nur wenige, sondern wenn sich die große Mehrheit der Menschen, sprich wenn sich die Allgemeinbevölkerung, grundlegend verändert. Der Allgemeinbevölkerung von einer veganen Ernährung abzuraten, heißt daher im Umkehrschluss, aktiv dazu beizutragen, solche Missstände auf unserer Welt aufrechtzuerhalten, die Tag für Tag unermessliches Leid für Menschen und für Tieren verursachen. Aus veganer Sichtweise brauchen und sollten wir uns hiermit nicht abfinden.