Neue Studie: Veganismus kein Risikofaktor für Essstörungen – Veganer weisen im Gegenteil besonders positive Einstellungen zum Essen auf

Neue Studie: Veganismus kein Risikofaktor für Essstörungen – Veganer weisen im Gegenteil besonders positive Einstellungen zum Essen auf

In einem aktuellen Artikel im Wissenschaftsjournal "Appetite" stellen die Psychologen Timko, Hormes und Chubski (2012) Befunde einer Vergleichsuntersuchung von Veganern, Vegetariern, Semi-Vegetariern und Omnivoren (Fleischessern) im Hinblick auf Risikofaktoren für die Entwicklung einer Essstörungdar.

Die zwei von Tinko et. al. berichteten zwei Einzelstudien waren motiviert durch die Widersprüchlichkeit von Vorbefunden, die zudem erhebliche methodische Schwierigkeiten aufweisen. Hauptschwäche vorheriger Untersuchungen sind sehr kleine Stichprobengrößen sowie vor allem die fehlende Differenzierung zwischen Veganern, Vegetariern und Semi-Vegetariern.

Veganer sind Personen, die keinerlei tierische Produkte konsumieren, also insbesondere auch keine Fleisch-, Fisch-, Milch- oder Eierprodulte. Vegetarier konsumieren kein Fleisch und keinen Fisch, konsumieren aber dennoch andere Tierprodukte, wie Milch oder Eier. Semi-Vegetarier schränken ihren Fleischkonsum ein, indem sie beispielsweise kein rotes Fleisch essen, konsumieren aber weiterhin Fisch oder auch auch Geflügel.

Die Autoren verweisen darauf, dass in vorherigen Studien im Regelfall Semi-Vegetarier zu den Vegetariern gezählt worden seien, so dass ein Schluss auf Zusammenhänge zwischen Essstörungen und tatsächlichem Vegetarismus oder Veganismus auf dieser Basis nicht möglich sei. Veganer seien entweder gar nicht unterschieden oder lediglich in Form von Mikrostichprobengrößen untersucht worden.

Tinko et.al. klassifizierten 486 teilnehmende Personen mithilfe einer Selbstbefragung bei Vorgabe eindeutiger Definitionen als Veganer, Vegetarier, Semi-Vegetairer oder Omnivoren. Diese Klassifikation wurde zusätzlich durch einen weiteren Fragebogen überprüft, der konkrete konsumierte Nahrungsmittel erhob. Gab hier eine Person z.B. den Konsum von rotem Fleisch an, wurde sie als Omnivore klassifiziert, selbst wenn die gleiche Person sich selbst als Vegetarier beschrieben hatte.

Insgesamt beteiligten sich auf der Basis dieser Klassifikation 35 Veganer, 111 Vegetarier, 75 Semi-Vegetarier und265 Nicht-Vegetarier an der Untersuchung.

Allen Teilnehmern wurden wissenschaftlich evaluierte Fragebögen zu ihrem Esssverhalten bzw. zu ihren auf das Essen bezogenen Einstellungen vorgegeben. Ebenfalls wurden weitere Maße erhoben, wie der selbst berichtete Body Maß Index oder die Gründe für und die Dauer einer vegetarische oder veganen Lebensweise.

Wie erwartet wiesen Veganer mit 21.29 den niedrigsten selbst berichteten BMI auf, während Omnivoren einen BMI von 24.49 zeigten.

Keine signifikanten Unterschiede ergaben sich demgegenüber zwischen den Gruppen im Hinblick auf ein Gesamtmaß der Essgestörtheit oder die Unterskalen dieses Maßes mit den Bezeichnungen "Diätverhalten", "Bulimie" und "orale Kontrolle". Allerdings wiesen Semi-Vegetarier im Gesamtmaß deskriptiv den höchsten Wert auf, gefolgt von Vegetariern, Veganern und Omnivoren.

In einem weiteren Maß zeigten Veganer signifikant weniger Versuche, ihr Esssverhalten einzuschränken als Semi-Veganer, wobei ein entsprechend restringiertes Esssverhalten als Risikofaktor für die Entwicklung einer Essstörung gilt. Semi-Vegetarier wiesen dabei ebenfalls eine höhere Essrestriktion auf als Omnivoren. Vegetarier unterschieden sich demgegenüber nicht signifikant von einer der drei anderen Ernährungs-Gruppen.

Für Veganer wurde außerdem ein signifikant niedrigeres Ausmaß von externalisiertem Essen gefunden als für alle anderen Gruppen. Externalisiertes Essen bezieht sich auf ein Essverhalten, welches nicht durch den inneren Bedürfniszustand des Organismus, sondern durch Umgebungsreize gesteuert wird. Vegetarier unterschieden sich hier ebenfalls durch ein geringeres externalisiertes Esssverhalten von Omnivoren, nicht aber von Semi-Vegetariern.

In einem Maß, welches die Beeinflussbarkeit von Gedanken, Gefühlen und verhaltensweisen durch eine nahrungsmittelreiche Umgebung erfasst, zeigten Veganer und auch Vegetarier eine geringere Beeinflussbarkeit als Semi-Vegetarier und Omnivoren. Darüberhinaus zeigten Veganer die größte Bereitschaft, das Auftreten von inneren Bedürfnisse nach Essen und Genuss zuzulassen, wobei auch Vegetarier hierzu eine signifikant größere Bereitschaft zeigten als Omnivoren, sich aber nicht von Semi-Vegetariern unterschieden.

In einer kleineren zweiten Studie, die ausschließlich Semi-Vegetarier mit Omnivoren vergleich, unterschieden sich Semi-Vegetarier nicht von Omnivoren im BMI, Unzufriedenheit mit der eigenen Figur, wahrgenommenem Übergewicht und Diäten, zeigten allerdings insgesamt dennoch eine stärkere Tendenz zu einem restriktiveren Esssverhalten.

Die Autoren gelangen zu der Schlussfolgerung, dass Veganer die gesündesten Einstellungen zum Essen haben, eng gefolgt von Vegetariern, während Omnivoren eher den Semi-Vegetariern ähnlich sind, letztere aber von den untersuchten 4 Gruppen die im Durchschnitt dysfunktionalsten Einstellungen zum Essen aufweisen.

Die Untersuchung macht deutlich, dass keine Hinweise dafür vorliegen, dass eine tatsächlich vegane oder vegetarische Lebensweise als Risikofaktor für die Entwicklung einer Essstörung zu bewerten wäre. Unklar ist allerdings, ob eine semi-vegetarische Lebensweise ein Risikofaktor sein mag, wobei selbst bei dysfunktionaleren Einstellungen zum Essen von Semi-Vegetariern die wohl plausibelste Alternativerklärung ist, dass Menschen mit Essproblematiken eher eine semi-vegetarische Ernährung wählen, um Essen leichter vermeiden zu können.

Demgegenüber wählen insbesondere Veganer und auch Vegetarier eine vegane bzw. vegetarische Lebensweise eher aus ethischen Gründen. Tatsächlich zeigt die Untersuchung auch, dass die Aufrechterhaltung einer veganen Lebensweise zu 74,29% und die Aufrechterhaltung einer vegetarischen Ernährung zu 68,18% ethisch begründet wurde, während bei den Semi-Vegetariern lediglich 31,48 eine ethische Begründung für ihr Ernährungsverhalten benannten.

Kurz zusammengefasst, legt die Studie insofern nahe, dass insbesondere ethisch begründeter Veganismus und zu einem etwas geringeren Anteil auch ethisch begründeter Vegetarismus zu mit besonders positiven Einstellungen zum Essen einhergehen, die sich für die Herausbildung einer Essstörung als eher protektiv erweisen dürften.

Quelle

Timko, C. A., Homres, J. M., [&] Chubski, J. (2012)Will the real vegetarian please stand up? An investigation of dietary restraint and eating disorder symptoms in vegetarians versus non-vegetarians, Appetite, 58, 982-990

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