Veganer und Fleischesser: Überlegungen zum Begriff der Toleranz

Veganer und Fleischesser: Überlegungen zum Begriff der Toleranz

Gibt es vegan lebende Menschen, von denen nicht bereits Toleranz gegenüber ihren fleischessenden Mitmenschen eingefordert wurde? Vermutlich nicht.

In der Tat: Überall dort, wo vegan lebende Menschen, Vegetarier oder Fleischesser miteinander diskutieren, wird rasch die Frage nach der Toleranz der Veganer gestellt. Nicht vegan lebende Menschen erleben sich offenbar immer wieder als durch Veganer angegriffen. Sie werfen vegan lebenden Menschen, und übrigens auch vegan.eu, Intoleranz, Ausgrenzung, Fanatismus, Extremismus, Zwang und verbale Gewalt vor.

Als Portal für vegan lebende Menschen und zur Förderung des Veganismus kommen wir insofern nicht umhin, uns mit diesen an die vegane Adresse gerichteten Vorwürfen auseinanderzusetzen.

Wenn wir fleischessende Menschen oder auch Vegetarier, die sich kritisch zu Veganern äußern, nachfragen nach der Basis ihrer Kritik, hören wir meistens als einen wichtigen Aspekt, dass Veganer die Meinung verträten, sie seien die besseren Menschen. Dies sei eine Degradierung und Abwertung der nicht veganen Mitmenschen. Es sei auch Ausdruck von Intoleranz, da niemand vegan lebende Menschen zwingen wolle, Fleisch oder andere Tierprodukte zu konsumieren, Veganer aber andere zwingen wollten, vegan zu leben. Es sei missionarische Tätigkeit oder gar verbale Gewalt und es erzeuge Druck. Es sei das Verhalten einer Sekte. Besonders schlimm sei, auch dies ist immer wieder zu hören, wenn Veganer gar ihren Kindern ihre Ernährungsweise aufzwängen.

Wir denken, dass diese Bewertungen und Kritiken auf einem Missverständnis beruhen. Es wird das Vorhandensein ethisch begründeter Überzeugungen mit Zwang und Sektiertum verwechselt. Die Forderung nach Toleranz wird zur Forderung nach Legitimierung des Fleisch- und Tierkonsums durch Veganer, was jedoch der Logik und Ausrichtung des Veganismus widerspricht:

Wir möchten hier auf die nach unserer Einschätzung wesentlichen Aspekte im Detail eingehen:

Nicht "bessere Menschen", sondern "bessere Ethik"

Die Entscheidung zur veganen Lebensweise ist im Regelfall ethisch begründet. Veganer möchten keine tierischen Produkte verzehren, weil sie es ablehnen, Tiere für den eigenen Konsum leiden und sterben zu lassen. Sie möchten eine Welt, in der der Mensch nicht wie ein Raubtier auftritt, sondern sich gegenüber den anderen nicht-menschlichen Wesen respektierend verhält, ihnen - außer in Notwehrsituation oder durch Unabsichtlichkeit - kein Leid zufügt.

Veganer möchten damit gleichzeitig auch eine mitmenschlichere Gesellschaft. Denn indem die Tötungsschwelle weiter erhöht wird, soll gleichzeitig ein friedfertiger Umgang der Menschen untereinander gefördert werden. Durch die Ressourcenersparnis der veganen Ernährung soll die Umwelt besser geschützt und die Beseitigung des Welthungers erleichtert werden.

Ethisch begründeter Veganismus geht von der Überzeugung aus, dass wir Leid nicht zufügen sollten, wenn es irgendwie vermeidbar ist, sondern dass wir es, wo immer es möglich ist, mindern sollten. Diese ethische Überzeugung halten Veganer in der Tat für vorzuziehen gegenüber einer Ethik, die Leid von Tieren legitimiert und für eine Lebensweise eintritt, die die natürlichen Lebensgrundlagen unseres Planetens zunehmend ruiniert und die Beseitigung des Welthungers erschwert.

Wenn Veganer ihrer ethischer Überzeugung, dass das "Du sollst nicht töten" auch auf nicht menschliche, leidensfähige Wesen ausgedehnt werden sollte, nicht für vorzuziehen hielten, wäre es weder sinnvoll, diese Ausrichtung zu vertreten, noch vegan zu leben.

Es folgt aus der ethischen Fundierung des Veganismus, dass die vegane Lebensweise von Veganern als die aus ethisch-moralischen Gründen gebotene und insofern als die gegenüber dem Fleischkonsum und auch dem Vegetarismus ethisch-moralisch vorzuziehene Lebensweise zu betrachten ist.

Moralische Setzungen sind keine Tatsachen, sondern sie ergeben sich aus Bewertungen. Der ethisch motivierte Veganer bewertet das Leid von Menschen und Tieren als ein Übel und sieht daher jede Form von nicht vermeidbarer oder sich nicht aus einer Notwehrsituation ergebener Leidzufügung als ein Unrecht an. Ethisch begründeter Veganismus muss daher notwendigerweise die gesellschaftliche Praxis des Fleischkonsums wie auch des Konsums anderer tierischer Produkte, die auf der Basis von Leidzufügung und Tötung von Tieren entstehen, als ein Unrecht betrachten.

Der Vorwurf an die Veganer, sich als bessere Menschen zu darzustellen, enthält als wahren Kern die Sachlage, dass Veganer eine Ethik vertreten, die sie der Ethik der fleischessenden Gesellschaft für überlegen halten. Allerdings geht es nach der veganen Logik nicht darum, sich selbst als besserer Mensch darzustellen, sondern für eine Ethik einzustehen, die das Leid von Menschen und Tieren in unserer Welt wirksam zu mindern trachtet.

Der Eindruck der Fleischesser oder auch Vegetarier, durch Veganer abgewertet zu werden, ergibt sich schlussendlich daraus, dass Veganer eine Welt anstreben, in der Menschen aufhören, den Tieren Leid und Tod zuzufügen. Veganer wenden sich in Wirklichkeit aber nicht gegen die fleischessenden Menschen, sondern sie ergreifen Partei für die ausgebeuteten Tiere ebenso wie für die Menschen, die wegen unserem Fleisch- und Tierkonsums aufgrund von Umweltzerstörung oder Ressourcenverknappung leiden müssen.

Wenn Fleischesser oder Vegetarier es für illegitim halten, dass Veganer davon ausgehen, dass die vegane Lebensweise die ethisch-moralisch gebotene Lebensweise ist, dannwürdensie in letzter Konsequenz die Postulierung sämtlicher ethischer Prinzipien für illegitim erachten, da ethisch-moralische Prinzipien auf der Annahme fungieren, dass es ein Soll gibt, nach dem sich die Gesellschaft und der Einzelne möglichst ausrichten sollte.

Überzeugungsarbeit als Teil der veganen Ethik

Der Begriff der Mission ist religiös besetzt und wird vermutlich auch deshalb im Diskurs verwandt, um Veganismus in die Nähe von sektiererischen Vorstellungen zu rücken. Sachlich geht es darum, dass es zur veganen Lebensweise ebenfalls dazu gehört, für den Veganismus zu werben. Grundlage hierfür ist, dass es Veganer für nicht hinnehmbar halten, dass wir Menschen das Leben von Abermilliarden von Tieren tagtäglich in die Hölle auf Erden verwandeln. Veganer möchten das Unrecht, welches den Tieren durch Menschen zugefügt wird, beenden. Ein erster Schritt ist die eigene vegane Lebensweise, um bereits einen kleinen Beitrag zur verminderten Vergeudung tierischen Lebens zu leisten und gleichzeitig ein Vorbild zu sein, welches deutlich macht, dass eine vegane Lebensweise möglicht ist.

Wer etwas verändern will, muss überzeugen. Bereits selbst vegan zu leben, leistet einen ersten Beitrag, aber es genügt nicht, um zu einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel zu gelangen. Eine gesellschaftliche Positionierung ist notwendig, um die Ausbreitung der veganen Lebensweise zu fördern. Eine Ausbreitung der veganen Lebensweise ist aber gemäß der veganen Position notwendig, um das Leid zu beenden, dessen Zufügung durch den menschlichenFleisch- und Tierkonsum von Veganern abgelehnt wird.

Wer Veganern vorwirft, für ihre Ethik Überzeugungsarbeit zu leisten, müsste den Vorwurf gegen jeden anderen Menschen richten, der für seine Positionen und Überzeugungen einsteht.

Friedfertigkeit und nicht Gewalttätigkeit

Veganern wird verbale Gewalt vorgeworfen, wenn sie für ihre vegane Lebensweise in der Öffentlichkeit eintreten. Dieser Vorwurf verfälscht den Begriff der Gewalt, indem friedfertige Überzeugungsarbeit zur Gewalt erklärt wird, während umgekehrt die Gewalt der Tiertötungsmaschinerie ausgeblendet wird. Veganer treten nicht für eine gewaltsame, sondern für eine friedfertige Welt ein, in der wir aufhören, einander oder anderen Tieren Gewalt zuzufügen. Der gegen Veganer erhobene Gewaltvorwurf lenkt somit von der tatsächlichen Gewalt, die vegan lebende Menschen gerade überwinden wollen, ab, ist inhaltlich substanzlos.

Auch Veganer lieben ihre Kinder

Eine gut geplante vegane Ernährung ist für Menschen aller Altersgruppen, vom Säugling bis zum Greis geeignet, dies ist die wissenschaftlich begründete Position der US amerikanischen ernährungswissenschaftlichen Vereinigung (siehe hier) und damit einer Vereinigung, die finanzielle Fördermittel auch durch die Fleischindustrie erhält und in keiner Weise im Verdacht steht, einen Bias ""pro vegan"" zu pflegen.

Wenn Eltern ihr Kinder angemessen vegan ernähren, gefährden sie in keiner Weise die Gesundheit ihrer Kinder. Gegenteilige Einzelfallberichte beruhen ausnahmslos auf Fällen, wo eine tatsächlich oder scheinbar vegane Ernährung aus weltanschaulichen Gründen oder Unwissenheit in vereinseitigter und nicht angemessener Art und Weise durchgeführt wurde (z.B. keine Sicherstellung der Vitamin B12 Versorgung).

Allgemein ist es üblich, dass Eltern ihre Kinder ernähren. Mag in einigen fleischessenden Kulturen Hundefleisch gegessen werden, ist dies in anderen Kulturen nicht üblich und entsprechend werden auch Eltern ihren Kindern dort kein Hundefleisch geben. Bekannt ist auch der Fall, wo aus religiöser Überzeugung Kindern kein Schweinefleisch gegeben wird.

Während die Sachlage, dass überall auf der Welt die Eltern ihre Kinder ernähren und dabei auch die Ernährung der Kinder festlegen, kaum kritisiert wird, scheint von Veganern etwas anderes verlangt werden. Dies ist unlogisch und deutet darauf hin, dass es weniger um den Schutz von Kindern als um eine Ablehnung der veganen Lebensweise geht.

Wenn Kinder ihre Eltern so ernähren, dass deren Gesundheit beeinträchtigt wird, ist ein gesellschaftliches Eingreifen unverzichtbar. Dieses Eingreifen geschieht heute eher zu wenig als zu viel, eher zu langsam als zu schnell, es hataber nichts mit der Fragestellung einer veganen, vegetarischen oder fleischbasierten Ernährung zu tun, sondern sollte sich ausschließlich an tatsächlichen Gesundheitsbeeinträchtigungen orientieren, die im Fall der veganen Ernährung eben nicht aus dieser Ernährung an sich, sondern lediglich aus unsachgemäßen oder vereinseitigten Umsetzungen folgen können.

Fehlerhafter Toleranz-Begriff

Der Intoleranz-Vorwurf gegen Veganer übersieht, dass sich Veganer für die Beseitigung eines gesellschaftlichen Unrechtes einsetzen, welches durch Fleisch- und Tierkonsum geschaffen wird. Die Zucht, Freiheitsberaubung, Qual und Tötung der Nutztiere ist Ausdruck einer Nicht-Akzeptanz des tierischen Lebens durch die fleischessende und Tiere nutzende Gesellschaft. Damit wird eine maximale Intoleranz gegenüber dem Streben der Tiere nach Leidfreiheit und Leben gezeigt, deren Anprangerung dann wiederum mit einem unberechtigten Intoleranz-Vorwurf gegen die vegane Sichtweise begegnet wird.

Wenn Veganer als intolerant bezeichnet werden, weil sie Fleisch- und Tierproduktekonsum für falsch halten, dann sind alle Menschen intolerant, die aus Überzeugung Leid in dieser Welt mindern wollen. Ein solcher Intoleranz-Begriff würde einer Abschaffung gesellschaftlicher Missstände im Wege stehen und jeden von uns zur ethisch-moralischen Indifferenz aufrufen.

Vertretung der veganen Lebensweise: Wirksamkeit ist essentielle Fragestellung

Zusammenfassend, ist es legitim und inherent notwendig, dass vegan lebende Menschen den Veganismus für eine moralisch vorzuziehende Lebensweise halten und für die Ausbreitung der veganen Lebensweise eintreten. Die hieraus resultierenden Vorwürfe an Veganer, sie seien intolerant, missionarisch oder gar verbal gewalttätig sind unberechtigt. Dennoch sollten solche Reaktionen der fleischessenden Gesellschaft und auch eines Teiles der Vegetarier nicht ignoriert werden, sondern ernst genommen werden, um einen maximalen Beitrag für die Ausbreitung der veganen Lebensweise leisten zu können.

Es ist immer wieder deutlich zu machen, dass es nicht um die Abwertung von Menschen, sondern um die Beendigung von Leid und Tötungen geht, wofür jeder einzelne durch die Wahl einer veganen Lebensweise einen Beitrag leisten kann.

Die Menschen sind dort abzuholen, wo sie stehen. Aggressionen und Beschimpfungen werden hier keine konstruktiven Beiträge leisten, sondern eine ebenso konsequente wie empathische Argumentation ist erforderlich, um nicht unnötige Ablehnung, sondern einen positiven Einstellungswandel zu erzeugen. Hierzu finden sich weitere Überlegungen im AbschnittWie überzeugen?.

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