Vegansexualität: Konzept und Kontroverse
In einer Untersuchung des New Zealand Centre for Human-Animal Studies (Potts [&] White, 2007) gaben einige Befragte Veganerinnen an, dass sie sich keine sexuell-partnerschaftlichen Beziehungen mit Menschen vorstellen könnten, die Tierprodukte konsumieren.
Auf der Basis dieser Umfrage wurde der Begriff der "Vegansexuality" geprägt, der sich auf eine Form der Sexual- und Partnerwahlpräferenz bezieht, bei der ethischen Aspekten des Lebensstiles eines potentiellenPartners entscheidendes Gewicht zukommt.
Vegansexualität wird dabei nicht als eine biologisch bestimmte und ebenfalls nicht als eine früh entstehende und im Anschluss unveränderliche sexuelle Präferenz definiert, sondern als eine Ausrichtung der sexuell-partnerschaftlichen Interessen an dem eigenen ethisch begründeten veganen Lebensstil, wodurch sich eine besondere sexuell-partnerschaftliche Attraktion für andere Veganer und Veganerinnen, aber auch eine erlebte Aversion gegen körperlichen Kontakt mit Menschen, die Tierprodukte konsumieren, ergeben können. Auch wenn der Begriff der Vegansexualität geschlechtsneutral formuliert ist, liegt sein Ursprung in den Schilderungen veganer Frauen und die Hauptkritik gegen ihn scheint von Männer vorgebracht zu werden.
Die Einführung des Begriffes der Vegansexuality führte zu einem erheblichen Medienecho, u.a. auch zu einem Bericht in der New York Times und vielen weiteren Beiträgen in Printmedien, Internet und Radio, wobei gleichzeitig Menschen begannen, sich als vegansexuell zu outen.
Auch in Internet-Foren entstand eine rege Diskussion, wobei hier aber vowiegend eine Woge der Ablehnung und Empörung entstand, die sich in Form von Beschimpfungen, Gewaltfantasien und Vorwürfen äußerte, mit dem Begriff der "Vegansexualität" werde ein rassismusähnliches Verhalten etabliert.
Annie Potts und Jovian Parry (2010) haben eine Inhaltsanalyse dieses medialen Interesses an der Vegansexualität mit dem Schwerpunkt auf Reaktionen in Internet-Foren vorgelegt. Demnach ist die Empörung gegen die Bevorzugung veganer Sexual- und Beziehungspartner vorwiegend als Ausdruck einer Verteidigung heteronormativer Männlichkeit im Sinne einer fleischessenden Matcho-Kultur zu verstehen.
Für diese Analyse sprechen drei Sachverhalte: 1. Es sind ursprünglich Frauen gewesen, die ihre Präferenz für vegane Partner erstmals formulierten, 2.Die schärfsten Kritiker in diversen Internet-Foren sind vorwiegend heterosexuell orientierte Männer und 3. Fleischkonsum ist gesellschaftlich stark mit Maskulinität assoziiert, wobei entsprechend auch Frauen bei den Vegetariern und Veganern überrepräsentiert sind.
Neben durch Foren-Diskutanten geäußerten Annahmen, dass Veganer ähnlich wie katholische Priester seien und in Wirklichkeit begehrten, was sie angeblich ablehnten, dokumentieren Potts und Parry auch regelrechte Gewaltfantasien, einschließlich kannibalistischer Fantasien, die sich auf die sexuelle Verführung und Verspeisung veganer Frauen beziehen. Die Frustration männlicher Verfügbarkeitsansprüche über Frauen scheint Basis solcher Gewaltfantasien zu sein.
Während einige Diskutanten in Foren auf das Thema der Vegansexualität mit Gewaltfantasien reagieren, fokussieren sich andere nach den Befunden von Pott und Parry stärker auf die Abwertung von Veganern und Veganerinnen, deren Verhalten als unnatürlich und abweichend bezeichnet und denen nun ihrerseits durch die omnivoren Forenteilnehmer körperliche und erotische Attraktivität generell abgesprochen wird. Hier geht es offenbar darum, es den Vegansexuellen "heimzuzahlen" nach dem Motto "Wer mich als fleischessenden Mann nicht will, muss unattraktiv und deffizient sein"
Eine dritte Gruppe an Foren-Diskutanten, die von Pott und Parry identifiziert werden,argumentiert (scheinbar) progressiv und wirft vegansexuellen Menschen ein rassismusähnliches Konzept vor. Es gebe genug Hass und Intoleranz in der Welt. Veganer würden nunmehr ein weiteres Beispiel hierfür erzeugen. Fleischesser sind nach dieser Lesart Opfer einer Diskriminierung, weil sie aus den sexuellen und partnerschaftlichen Präferenzen einiger Veganer und Veganerinnen ausgeschlossen werden. Gänzlich undiskutiert bleibt von Vertretern dieses Argumentes aber die Sachlage des enormen Tierleides, welches durch den Fleischkonsum erzeugt wird, sowie die maximale Intoleranz, die praktiziert wird, wenn das Leben eines Tieres für Geschmack und Genussempfinden geopfert wird.
Insgesamt wird aus der Analyse von Potts und Parry deutlich, dass das Auftreten vegansexueller Präferenzen offenbar insbesondere bei der fleischessenden Männerwelt auf unmittelbare Ablehnung stößt. Demgegenüber ergibt sich ein eklatanter Mangel an Versuchen, die vegansexuelle Präferenz zu verstehen und die Perspektive vegansexueller Menschen einzunehmen. Ein Hauptgrund hierfür dürfte sein, dass es den in der fleischessenden Kultur verwurzelten Kritikern an einem Bezug zum Leid der Tiere fehlt, welches von ihnen gänzlich ausgeblendet wird, so dass sie eine vegansexuelle Präferenz nur als unberechtigten Angriff auf die eigene Person missverstehen können.
Wie ist nun aber der Begriff der Vegansexualität zu bewerten?
Zunächst einmal sind persönliche sexuelle und partnerschaftliche Präferenzen legitim und kein Ausdruck von Diskriminierung. Aus veganer Sichtweise ist aber eine vegansexuelle Orientierung keineswegs allgemein zu fordern. Zahlreiche Veganer und Veganerinnen sind mit nicht veganen Partnern zusammen und dies bedeutet nicht, dass sie keine Veganer wären.
Andererseits sind aber die Schwierigkeiten, die sich aus einer Partnerschaft zwischen Veganern und Nicht-Veganern ergeben, nicht zu unterschätzen:
Die vegane Lebensweise ist nicht eine indifferente Modepräferenz, sondern eine ethsich reflektierte und als aus moralischen Gründen für notwendig erachtete Lebensentscheidung. Vegan lebende Menschen in einer Beziehung mit einem Omnivoren werden ständig damit konfrontiert werden, dass sich der geliebte und begehrte Mensch an der Tierausbeutung- und Tötungsmaschinerie durch seinen Konsum aktiv beteiligt. In geminderter Form gilt dies letztlich auch für Vegetarier.
Ebenfalls ist aber die Sachlage zu erwägen, dass eine partnerschaftliche Beziehung ebenfalls Anreiz sein kann, um über die eigene Lebensweise nachzudenken und diese zu verändern. Während mancher nicht gefestigt vegan lebende Mensch durch eine Beziehung wieder zum Fleischesser werden mag (siehe hier ein prominentes Beispiel), ist umgekehrt die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass ein fleischessender oder noch vegetarisch lebender Partner beginnt, vertieft nachzudenken und sich dann für einen veganen Lebenswandel entscheidet, so dass das Beziehungsglück komplett sein und ein weiterer kleiner Schritt für die Beendigung der Ausbeutung und Tötung von Tieren für den menschliche Konsumbedürfnisse getan worden sein würde.
Jeder vegan lebende Mensch wird selbst entscheiden müssen und dürfen, ob bei der Partnerwahl die vegane oder nicht vegane Lebensweise eines potentiell in Frage kommenden Menschen als Auswahlkriterium genommen wird oder nicht. In diesem Sinne hat der Begriff der Vegansexualität durchaus seine Berechtigung und verdient nicht die unreflektierte Ablehung und Empörung, die ihm teilweise entgegenschlägt.
Wie hoch der Anteil der Veganerinnen und Veganer ist, die sich als vegansexuell bezeichnen würden, ist derweil derzeit noch unbekannt.
Quellen:
Potts, A., [&] Parry, J. (2010) Vegan Sexuality: Challenging Heteronomative Maculinity through Meat-free Sex. Feminism [&] Psychology, Vol. 20(1): 53-72
Potts, A, [&] White, M. (2007) Cruelty-free Consumption in New Zealand: ANational Report on the Perspectives and Experience of Vegetarians and Other Ethical Consumers. Christchurch: New Zealand Centre for HUman-animal Studies.